Als Chefin der Agentur für Passagier und Fahrgastrechte haben Sie es mit den unangenehmen Seiten der Reisezeit zu tun. 2018 war ein herausforderndes Jahr. Die Zahl der schriftlichen Beschwerden stieg um 61 Prozent. Worauf stellen Sie sich in diesem Jahr ein?
MARIA-THERESIA RÖHSLER: Wir merken keine Beruhigung. Im Jahresvergleich von 2018 auf 2019 sehen wir noch einmal einen Anstieg um 52 Prozent. Die ersten Monate 2018 waren noch nicht so wild, die größeren Probleme sind erst ab dem Sommer aufgetreten. Dennoch – es ist wieder eine Steigerung.
Worauf führen Sie das zurück?
Es gibt Kapazitätsengpässe in der Luftfahrt, es gab im letzten Sommer Streiks und Wetterprobleme. Die Insolvenzen von Air Berlin und Niki haben den Markt aufgewirbelt, alle haben versucht, in diese Marktteile einzudringen und die Slots zu bekommen, die Air Berlin und Niki nicht mehr bedienen konnten. Das hat einige Fluglinien sicherlich überfordert. Es gab zu wenige Flugzeuge, um die Slots zu bedienen, das hat Unruhe hineingebracht.
Das hat sich noch nicht gelegt?
Diese Problematik hat sich ein bisschen beruhigt. Aber es sind noch nie so viele Menschen geflogen wie jetzt – und da gibt es Engpässe. Es haben uns alle Fluglinien und Flughäfen versichert, dass sie auf diesen Sommer besser vorbereitet sind, aber man wird sehen, ob das tatsächlich der Fall ist.
Die Wirtschaftskammer legt sich beim Kollektivvertrag für die Luftfahrtbranche quer, die Gewerkschaft droht deshalb mit Streik am Flughafen Wien. Nun kommt es zu einem Krisengipfel. Suchen die Reisenden schon Rat für den Fall der Fälle?
Durch die mediale Aufmerksamkeit für das Thema im letzten Sommer haben viele Reisende erst erfahren, dass sie bestimmte Rechte haben und ihnen im Fall einer Annullierung oder Verspätung eine Entschädigung zusteht. Die Prominenz des Themas führt sicher auch zum aktuellen Anstieg der Beschwerden und Anfragen.
Die Durchsetzung von Fahrgastrechten hat sich zu einem eigenen Wirtschaftszweig entwickelt.
Es gibt viele kommerzielle Anbieter, die Werbung machen. Es ist wichtig zu wissen, dass wir nicht kommerziell arbeiten, sondern ein Service des Verkehrsministerium sind. Wir finanzieren uns zum Großteil aus dem Bundesbudget, die Fluglinien zahlen für jedes Schlichtungsverfahren 78 Euro. Das Service ist für die Passagiere kostenlos und provisionsfrei.
Wie reagieren denn die Fluglinien auf Ihre Arbeit?
Wir haben den großen Vorteil, dass die Fluglinien per Gesetz an den Schlichtungsverfahren teilnehmen müssen. Befolgen die Unternehmen die Mitwirkungspflicht nicht, droht ihnen eine Geldstrafe bis zu 22.000 Euro. Das hilft natürlich bei der Kooperation. Im ersten Jahr unserer Tätigkeit im Flugbereich haben uns nicht alle Fluglinien ernst genommen. Als dann die ersten Strafverfahren wegen mangelnder Mitwirkung gegen persönlich Verantwortliche der Airline bei der Bezirksbehörde gelandet sind, ging es dann plötzlich. Die Kooperation ist mittlerweile sehr groß. Viele Fälle wickeln die Fluglinien selbst ab.
Sticht eine Fluglinie bei der Zahl der Beschwerden heraus?
Wir veröffentlichen die Fallzahlen je Linie im Jahresbericht. Das ist stark von der Frequenz abhängig. Dass eine Fluglinie speziell schwierig wäre, das geben die Zahlen nicht her.
Als Leiterin der Schienen Control konnten Sie für 2018 einen Anstieg der Bahnreisenden in Österreich vermelden. Hat diese Entwicklung etwas mit den Spannungen in der Luftfahrt zu tun?
Nein. Die Zuwächse der Bahn im letzten Jahr gab es vor allem im Nahverkehr und das ist nicht die Konkurrenz der Luftfahrt. Das Nahverkehrsangebot in den Ballungsräumen wurde ausgeweitet, das ist ein Grund für den Fahrgastzuwachs.
Aus dem Bahnbereich erhalten Sie viel weniger Beschwerden. Arbeiten die Bahnunternehmen um so vieles besser?
Man muss ehrlich sagen, dass der Streitwert geringer ist. Ist ein Flug um mehr als drei Stunden verspätet, gibt es je nach Entfernung 250, 400 oder 600 Euro Entschädigung – unabhängig vom Ticketpreis. Bei der Bahn gibt es bei einer Verspätung von einer Stunde 25 Prozent und bei zwei Stunden 50 Prozent des Ticketpreises retour. Das heißt, dass die Motivation, in ein Schlichtungsverfahren hineinzugehen, geringer ist.