Wir spüren inzwischen den Klimawandel massiv. Überlegen Sie sich als Chef von Österreichs größtem Tourismusunternehmen, wie Sie damit umgehen?
MARTIN WINKLER: Wir sind sehr sensibilisiert und Ansätze gibt es viele. Überall, wo wir das Produkt selbst in der Hand haben, von den eigenen Hotels bis zum Café Central in Wien, kann man im Kleinen beginnen etwa bei der Energieeffizienz oder Wasserverbrauch. Bei unserem großen Hotelumbauprogramm haben wir darauf einen Fokus.
Muss man Tourismus nicht generell neu denken?
Kunden auf neue Wege zu bringen, ist ein langfristiger Prozess. Im Österreich-Tourismus machen wir das mit E-Bikes, auch mit einem Öko-Siegel für Hotels.
In denen man nicht gegen seinen Willen frische Handtücher bekommt, obwohl man die benutzten extra fein aufgehängt hat?
Ist Ihnen das bei uns passiert?
Nein, aber sonst fast überall. Ist auch nur ein Nebengleis. Woran verdienen Sie eigentlich mehr: Wenn Sie die Flugreise nach Griechenland verkaufen oder einen Wanderurlaub in Vorarlberg?
Das hängt beim Wanderurlaub davon ab, was man dazu bucht oder wie man die Flugreise gestaltet. Gute Berater wollen die Kundenbedürfnisse erfahren.
Nimmt der Bedarf an Beratung ab? Im Juni gab es besonders viele Last-Minute-Angebote, weil sich immer mehr Menschen den Billigflug und ihr Quartier über ein Buchungsportal selbst organisieren.
Das hat verschiedene Aspekte. Generell gibt es einen starken Frühbucher-Strom. Wir spüren gleichzeitig, dass sich viele durch das große Angebot überfordert fühlen und Beratung suchen. Aktuell ist die Lage so, dass es genug Angebote gibt, wegen vieler Flugangebote – was in den Vorjahren ja so nicht der Fall war. Eine Rabattschlacht gibt es aber nicht.
Es gibt ein Flüge-Überangebot?
Es ist gut, wenn nicht alle nur auf ein paar Destinationen fokussieren und es eine gesunde Vielfalt gibt.
Ist das unter dem Aspekt des Klimaschutzes nicht kritisch zu hinterfragen? Könnte man den Eindruck gewinnen, alles funktioniert weiter nach dem Motto, ein bissl geht’s noch wie bisher?
Was wir sicher nicht leisten können, ist, keine Flugreisen mehr anzubieten.
Aus Skandinavien gibt es Berichte über Flug-Scham. Ist davon in Österreich etwas zu bemerken?
In den Zahlen nicht.
Was kann Beratung bieten, dass der Kunde das Gefühl hat, er bekommt etwas Besseres als das Schnäppchen um 399 Euro?
Den Kunden sind Erlebnisse wichtig, Individualität, der Kontakt mit Menschen. Jeder muss sich überlegen, welche Erlebnisse er für sich in den Vordergrund stellen will.
Sollten Dumpingpreise bei Flügen, etwa 15-Euro-Tickets für 1000 Kilometer lange Strecken, verboten werden? Die generieren Nachfrage, die es bei Kostenwahrheit nicht geben würde.
Ich bin gegen eine Marktregulierung und glaube am Ende des Tages an die Vernunft. Langfristig werden sich Angebot und Nachfrage treffen. Und jeder kann sich fragen, was er selbst tun kann. Etwa seine Flüge über Umweltportale kompensieren. Der Mensch reagiert aber oft erst, wenn er etwas am eigenen Leib wahrnimmt. Sobald noch das Preisthema dazu kommt, überlegt sich fast jeder, was er sich tatsächlich leisten will. Wir selbst bauen jedenfalls schon in vielen Ländern in Afrika oder im Indischen Ozean Möglichkeiten in Packages ein, wo man sein Geld sinnvoll für die Menschen dort ausgeben kann.
Stimmt die Zahl, dass es weltweit mittlerweile 1,3 Milliarden Touristen jedes Jahr gibt?
Sie klingt nicht abwegig.
Erlebt Wien Over-Tourism?
Das sehe ich nicht. Im Kongresstourismus, der Österreich viel Reputation bringt, gibt es sogar noch Potenzial. Im Freizeittourismus hat Österreich durch seine Vielfalt genug Möglichkeiten, Touristenströme zu entzerren. Es ist auch sicher schon ein Umdenken eingetreten, weg vom reinen Thema Nächtigungszahlen in Richtung mehr Wertschöpfung. Wenn man das vernünftig transformiert, sind wir weit davon entfernt, Verhältnisse wie in Venedig oder Barcelona zu haben.
Finden Sie es richtig, dass die Stadt Wien weiterhin nicht mit Airbnb sprechen will, obwohl Vertreter der Plattform gern wieder ins Gespräch kommen würden?
Ich habe das Vertrauen, dass der zuständige Stadtrat weiß, was zu tun ist. Von der offensichtlichen Nachfrage nach Sharing-Economy können wir auch etwas lernen. Menschen möchten so besonders in eine Stadt eintauchen. Nur muss das im Rahmen eines fairen Wettbewerbs sein. Für Wertschöpfung in Österreich müssen hier Steuern und Abgaben gezahlt werden.
Wo erhoffen Sie sich für das Verkehrsbüro in den nächsten Jahren das meiste Wachstum?
Wir wollen unsere gesamte Produktpalette, die von unserer Tochter Eurotours zusammengestellt wird, über Multi-Channel-Vertriebskanäle an Reiseveranstalter und Online-Portale in die ganze Welt verkaufen. Bei den Ruefa-Reisebüros müssen wir es schaffen, die On- und Offline-Welten zu verschmelzen, sodass das Know- how unserer gut 500 Reiseexperten für Kunden durchgängig verfügbar ist. Größter Wachstumstreiber bei uns im Konzern wird die Hotellerie sein. Wir investieren 40 Millionen Euro bis 2022 in unsere 27 Hotels. Mit unserer Marktposition und unserem Know-how haben wir auch das Potenzial, in Deutschland zu wachsen.
Was planen Sie in Deutschland?
Wir möchten eine Hotelgruppe mit zehn bis 15 Hotels übernehmen, haben dafür ein neues Stadt-Hotelkonzept, das wir sehr gut vervielfältigen können.
Was ist das für ein Konzept?
Es muss Eintauchen an Hotspots ermöglichen. Es soll Einfachheit, Kundenerlebnisse und österreichische Gastfreundschaft bieten, quasi wie Sitzen im Wohnzimmer.
Claudia Haase