Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache nennen die Steuerreform einen großen Wurf. Ist sie das wirklich?
CHRISTOPH BADELT: Sie ist ein großer Wurf beim Volumen der Entlastung, aber nicht bei der Änderung der Strukturen.
Die 8,3 Milliarden Euro Entlastung hat man einfach breit gestreut.
Ich glaube, dass es sinnvoll ist, dass jetzt ein Schwerpunkt auf die kleineren Einkommen gelegt wird. Der Familienbonus war eine klassische Mittelklasse-Aktion. In der dritten Phase kommt mit der Körperschaftsteuersenkung die Wirtschaft dran. Was aber fehlt, sind wirkliche ökologische Anreize.
Obwohl der Klimaschutz massiv nach Maßnahmen schreit.
Ich glaube nicht, dass man durch eine stärkere Ökologisierung des Abgabensystems wahnsinnig viel Geld hereinspielen kann. Man muss das sorgfältig machen und Standort und soziale Gesichtspunkte beachten. Da geht es um Anreize. Mir fehlt, völlig unabhängig von der Steuerreform, einfach ein klares Bild, wie Österreich seine Klimaziele erreichen will.
Was wäre an Ökosteuern überhaupt sinnvoll?
Die großen Bereiche sind der Verkehr und das Wohnen. Auch wenn nun bei der Nova etwas gemacht wird: Man muss in eine ernsthafte Diskussion gehen, welche negativen Anreize wir im Verkehr gegen CO2 setzen. Da bin ich bei so heißen Themen wie der Pendlerpauschale oder dem Dieselpreis. Das kann man aber nur langfristig angehen und muss soziale Aspekte abmildern. Der französische Präsident Macron und die Gelbwesten zeigen, wie vorsichtig man sein muss.
Von den 4,8 Milliarden Euro Entlastung der ersten drei Steuerstufen profitieren alle 4,2 Millionen Steuerzahler – aber doch gestaffelt.
Ja, es profitieren vor allem die unteren Einkommensklassen. Die Entlastung bei jenen, die so wenig verdienen, dass sie keine Steuer zahlen, macht über die Senkung der Krankenversicherungsbeiträge 900 Millionen aus. Das ist auch nicht wenig.
Im Schnitt 170 Euro Ersparnis für jeden Pensionsbezieher, 280 Euro für jeden Arbeitnehmer. Löst das genug neue Kaufkraft aus, um die Konjunktur zu befeuern?
Die Makrodimensionen sind für den Einzelnen schwer vorstellbar. Die Politik versucht immer zu erzählen, wie groß die Entlastung ist, und es ist dann schon ernüchternd, wenn man sieht, was sie für den Einzelnen bedeutet. All die neu verfügbaren Einkommen werden sich positiv niederschlagen, weil in den niedrigen Einkommensklassen die Konsumquote höher ist. Die makroökonomische Wirkung ist noch nicht exakt vorhersagbar.
Die Entlastung für die Wirtschaft mit 1,6 Milliarden mit der Senkung der KÖSt von 25 auf 21 Prozent wird erstreckt auf 2022 und 2023. Das wirkt nur langsam – reicht es für den Standort?
Die Sache mit dem Standort ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits: je niedriger die Steuern, umso besser für den Standort. Da wären 19 Prozent noch besser. Aber das ist dann ein Steuerwettbewerb nach unten. Die Erstreckung zeigt, dass die Regierung dem Ziel, keine neuen Schulden zu machen, eine hohe Priorität gibt. Das ist wirtschaftlich vernünftig. Das hätte man aber auch ohne Erstreckungen erreichen können, wenn man anderswo signifikante Einsparungen erzielt hätte.
Die Regierung verweist für den Standort darauf, dass 75 Prozent der Entlastung den Faktor Arbeit betreffen. Wirkt das auch so?
Der weitaus größte Teil der Entlastung kommt den Beschäftigten, nicht den Unternehmen zugute, das ist unbestritten.
Für kleinere Unternehmen ist die Erhöhung des Grundfreibetrages von 30.000 auf 100.000 Euro wichtig, sowie die Erhöhung der Abschreibungsgrenze für geringwertige Güter von 400 Euro auf 100 Euro, also für Laptop & Co.
Das sehe ich sehr positiv, weil es nicht nur eine Entlastung, sondern auch eine wesentliche Vereinfachung ist.
Allerdings sollen für die Steuerreform vier Milliarden aus dem Budget kommen, zwei Milliarden aus Einsparungen. Eine „Black Box“ mit unbekanntem Inhalt?
So ist es. Von dieser Black Box, die vielleicht eine Milliarde betragen wird, weiß man nicht, was kommen wird. Der Finanzminister hat ein paar Klassiker angekündigt mit Einsparungen bei Ermessensausgaben und Subventionen. Wirtschaftlich gesehen sind Ermessensausgaben aber nicht automatisch gescheiter als solche, die gesetzlich gebunden sind. Damit sind wir bei den Fragen der Strukturreformen, welche die Regierung auch angekündigt, aber nicht konkretisiert hat.
Auch das Steuersystem wollte man strukturell ändern.
Die Regierung will das Einkommensteuergesetz neu kodifizieren. Man wird sehen, ob das nur eine redaktionelle Verbesserung ist oder mehr. Was jetzt vorliegt, kann man noch nicht als Systemänderung des Abgabensystems bezeichnen.
Adolf Winkler