Sie sind Konjunkturforscher und Wirtschaftspsychologe. Kommt die Steuerreform im Volk und volkswirtschaftlich an?
MARTIN KOCHER: Ich glaube, dass die Entlastung bei den Arbeitnehmern gut ankommen wird. Auf die Konjunktur wird es sicher positiv wirken. Die Frage ist, wie groß der Effekt ist, nachdem die Reform über so viele Etappen erstreckt wird. Die Abgabensenkung für kleine und mittlere Einkommen wird einen Konsumimpuls auslösen.
Vergleicht man die Steuerersparnis von 3,9 Milliarden Euro für Arbeitnehmer mit den 1,6 Milliarden für Unternehmer und 900 Millionen Euro weniger Krankenkassenbeitrag für Kleinstverdiener und -pensionen: Haben ÖVP/FPÖ die Steuerreform gerecht verteilt?
Das ist eine politische Frage, die man als Wirtschaftsforscher nicht beantworten kann. Die Belastung auf den Faktor Arbeit war so hoch, dass klar war, dass darauf ein Fokus gelegt wird. Man versucht, alle Kunden möglichst breit zu bedienen.
Der Finanzminister spricht von einer ehrlichen Reform ohne neue Schulden. Die Rede war aber von bis zu 14 Milliarden Euro Erleichterung, jetzt sind es 8,3 Milliarden.
Ja, es ist weniger als ursprünglich angekündigt. Man hat sich auf das ausgeglichene Budget fixiert. Für 14 Milliarden hätte man substanziell in den großen Ausgabenbereichen Gesundheit, Pflege, Pensionen und Föderalismus etwas tun müssen.
Auch so gibt es eine ungeklärte Budgetlücke von zwei Milliarden.
Eine Milliarde will man aus dem Budgetvollzug erreichen. Das ist machbar, weil man auch Zeit hat, bis die Einkommensteuererklärungen kommen werden.
Von den niedrigeren Tarifen der ersten drei Steuerstufen profitieren alle 4,8 Millionen Steuerzahler. Eine Senkung – keine Reform?
Man hätte auch Steuerstufen verändern können. Die Sätze zu senken, ist aber sinnvoll, gerade im unteren Einkommensdrittel, wo die kalte Progression stark ansteigt. Die wird abgeflacht, die Richtung stimmt. Ich bin gespannt auf die für 2021 angekündigte Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes. Wenn das gelingt, ist es eine Reform.
Die steuerbefreite Mitarbeiterbeteiligung bis 3000 Euro nennt der Bundeskanzler quasi ein 15. Monatsgehalt. Was glauben Sie?
Man wird sehen, wie es angenommen wird. Ich finde diese überraschende Maßnahme gut, weil man Mitarbeiter und Unternehmen zusammenbringt.
Auch erst in Etappen sinkt die Körperschaftsteuer für Unternehmen von 25 auf 21 Prozent. Der Einser steht nicht vorne, den die Wirtschaft haben wollte.
Ob der vorne steht oder nicht, ist nicht so entscheidend, obwohl die Einnahmen aus der KÖSt zuletzt stark gestiegen sind. Es ist ein Kompromiss zwischen dem Nachteil, den Deutschland und Italien haben, und dem Vorteil, den osteuropäische Länder haben. Für Unternehmen ist Österreich kein Hochsteuerland, aber auch kein Diskontsteuerland.
Wie nahe kommt Österreichs hohe Abgabenquote mit dieser Steuersenkung herunter an die 40 Prozent?
Auf 40 Prozent wird man es am Ende der Legislaturperiode nicht schaffen, aber nahe sein, vielleicht bei 40,5 Prozent, das hängt mit von der Konjunktur ab. Es ist aber doch eine substanzielle Senkung, weil es aufgrund der etappenweisen Einführung im Gegensatz zu früheren Steuerreformen weniger Bedarf gibt, neue Steuern einzuführen.
Der Klimaschutz wird immer wichtiger, die Regierung hat aber Ökologisierungseffekte kaum eingebaut. Das ist doch anachronistisch!
Solche Effekte hätten wir gerne gesehen. Es gibt einzelne Maßnahmen bei der Nova und Förderungen bei der Biomasse. Das wird keine ausreichenden Effekte haben. Hätte die Bundesregierung bei der Besteuerung von CO2 Mut gehabt, wäre Österreich Vorreiter gewesen. Da wird wohl Druck von der EU kommen, dass etwas passiert. Man wird 2023/24 etwas machen müssen, wenn man die Klimaziele erreichen will. Wir haben dafür plädiert, das möglichst früh zu machen, auch wenn das mit Risiken verbunden ist, siehe Gelbwesten in Frankreich. Man hätte mit einer moderaten Besteuerung von CO2 beginnen können, ohne die Konjunktur abzuschwächen.
Was noch hätten Sie als Finanzminister anders gemacht?
Man könnte die Steuersätze substanziell senken, wenn man zugleich Ausnahmen streicht oder reduziert. Aber ich kann den Finanzminister gut verstehen. Jede Ausnahme hat ihre Lobbygruppe hinter sich. Da kann man sich dann auch eine gute Steuerreform politisch selbst zerschießen, wenn sich Gruppen als Verlierer sehen. Hier hat man eine Steuerreform gewählt, wo sich die Mehrheit als Gewinner sieht.
Adolf Winkler