Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Christoph Neumayer und IV-Chefökonom Christian Helmenstein sprachen am Donnerstag bei der Präsentation des aktuellen Konjunkturbarometers von einer konjunkturellen Ernüchterung, die auch ein Handlungsauftrag für politische Reformen sei. Es wurde aber auch betont, dass keine Rezession in Sicht sei.
Der Industrie geht es um eine stärkere Bekämpfung des Fachkräftemangels und eine "ausgewogene, faire Steuerreform, von der Menschen und Unternehmen profitieren", so Neumayer. "Es geht darum, den Faktor Arbeit wirklich zu entlasten. Hier sind wir uns wohl mit Arbeitnehmervertretern und der Politik einig." Für die Betriebe müsse auch etwas herausschauen, über die vergangenen Jahre hätten diese nämlich "Verschlechterungen erlebt".
"Beide Zugänge sind gut"
So gehöre die Körperschaftsteuer (KÖSt) signifikant gesenkt, am besten sollte ein Einser vor dem Steuersatz stehen, der sich derzeit auf 25 Prozent beläuft, so Neumayer. Auch die Halbierung des Steuersatzes für einbehaltene Gewinne sei eine Variante. Welche gezogen werde, müsse die Politik entscheiden. "Beide Zugänge sind gut." Auf die Frage, ob nicht ein EU-Korridor für den KÖSt-Satz geschaffen werden solle, damit sich die Steuerspirale im internationalen Wettbewerb unter den Staaten nicht bis ins bodenlose nach unten dreht, zeigte sich Neumayer skeptisch zu solchen Überlegungen. "Eine Vergleichbarkeit der Bemessungsgrundlage macht Sinn. Aber Länder, die noch nicht den selben Wohlstand erreicht haben, das Instrument einer steuerlichen Attraktivität zu nehmen, ist nicht fair."
"Man sollte mutig sein"
Grundsätzlich hielt der IV-Generalsekretär zur angekündigten Steuerreform fest: "Ich glaube man sollte mutig sein, signifikante Senkungen vornehmen und insbesondere daran denken, dass gewisse Selbstfinanzierungskraft gibt. Kurzfristig könnten, nicht zuletzt auf Basis der Ergebnisse des IV-Konjunkturbarometers, zudem investitionsfördernde Maßnahmen vorgezogen werden."
Den Bedarf für ein antizyklisches Konjunkturpaket gebe es derzeit aber nicht, betonte Helmenstein. Vielmehr wachse Österreich ziemlich genau in der Höhe seines Potenzialwachstums, das bei 1,6 bis 1,8 Prozent liegt. "Faktisch handelt es sich um ein konjunkturelles Normaljahr." Als positiv strich Helmenstein etwa hervor, dass dem Konjunkturbarometer zufolge die Geschäftserwartungen der Unternehmen in einem halben Jahr besser bewertet werden als die aktuellen. Der aktuelle Auftragsbestand sei auch "auskömmlich".
"Nicht auf den Kapitalmarkt vergessen"
Im Rahmen der Steuerreform solle auch auf den Kapitalmarkt nicht vergessen werden, forderte Neumayer. "Es macht Sinn, wieder an eine Spekulationsfrist zu denken; die Menschen sollen ihre Aktien länger halten." Zudem sollten die steuerlichen Abschreibungsdauern auf jene im Unternehmensgesetzbuch angeglichen werden. "So gäbe es schnellere Resultate in der Gebäudesanierung und schnellere Erneuerungen von Fahrzeugflotten, das hätte auch einen ökologischen Nutzen."
Warum Österreich stärker als Deutschland wächst
Die österreichische Wirtschaft ist mit der deutschen eng verwoben. Zuletzt hat es aber eine Abkoppelung gegeben, so Christian Helmenstein. Die deutsche Wirtschaft wächst heuer nur um 0,5 bis 0,8 Prozent. "Damit hat Österreich ein dreiviertel Prozent Wachstumsvorsprung, vielleicht wird es sogar ein ganzes Prozent", sagte Helmenstein.
Dieses Auseinanderklaffen hat dem Ökonomen zufolge mehrere Gründe. So dauert der Aufschwung in Deutschland schon deutlich länger an als in Österreich - "ungefähr doppelt so lange". "Österreich war aus der Stagnation heraus ein konjunktureller Spätstarter."
Zudem sei der Fachkräftemangel in Deutschland noch viel ausgeprägter als in Österreich. "Deutschland ist Österreich demografisch gesehen eine Dekade voraus, also älter." Das Nachbarland sei bereits an der Grenze seines Arbeitskräftepotenzials angelangt und brauche in den kommenden zwölf Jahren rund fünf Millionen Arbeitnehmer. Zum Vergleich: In Österreich gibt es rund vier Millionen Arbeitnehmer. In diesem Zusammenhang warnte Helmenstein auch vor einem möglichen Sogeffekt für Arbeitnehmer von Österreich nach Deutschland, denn die Joblücke betreffe vor allem Bayern und Baden-Württemberg. "Das ist die eigentliche Bedrohung."
Rückenwind kommt aus dem Osten
Positiv für Österreich im Sinne des Wirtschaftswachstums wirkt laut dem Wissenschafter die starke Verflechtung der Alpenrepublik mit dem Zentral- und Osteuropäischen Raum (CEE). Denn die CEE-Staaten wachsen jährlich um 1,5 Prozentpunkte schneller als die Eurozone.
Zudem würden in Deutschland Sondereffekte schlagend, die nicht zu vernachlässigen seien. Ein neuer Abgastestzyklus habe Autos nicht verfügbar sein lassen und zu einem "Zwangssparen" bei Haushalten geführt. Zudem habe das Niedrigwasser am Rhein vor allem negativ auf die chemische und pharmazeutische Industrie gewirkt. "Dazu kamen Bahn- und Luftfahrtstreiks, die auch Wachstum kosteten." Alleine aus diesen Sondereffekten seien im zweiten Vorjahreshalbjahr 3 Prozentpunkte Wachstum verloren gegangen. "Ohne diesen Sondereffekten wäre eine Rezession in Deutschland kein Thema", sagte Helmenstein.
"Wir sind unseres eigenen Konjunkturplus Schmied"
"Besser" als in Deutschland sei in Österreich auch die Standortattraktivität. Hier verwies der Ökonom auf die Arbeitszeitflexibilisierung und das Standortentwicklungsgesetz. Fazit: "Wir sind unseres eigenen Konjunkturplus Schmied."
Zur Bekämpfung des Fachkräftemangels fordert die IV ein Zuwanderungs- oder Einwanderungsgesetz. Dieses soll dabei helfen, dass bei der Einwanderung ein Fokus auf "Menschen, die wir brauchen" gelegt werden kann, sagte IV-Generlasekretär Christoph Neumayer. "Es geht um qualifizierte Zuwanderung - und da kann auch drin stehen, was wir nicht brauchen." Helmenstein verwies auf die Notwendigkeit, Arbeitskräfte in Österreich zu halten, was insbesondere für das Verhindern einer Weiterwanderung von ausländischen Arbeitskräften gelte. "Ein Mitarbeiterbindungsprogramm in Österreich ist ein Muss." Bei dem Thema dürfe nicht der Status quo debattiert werden, es gehe viel mehr um die Zukunft.