Die Papierindustrie, der Stahlriese voestalpine, der Stromkonzern Verbund und die Wiener Energiebörse EXAA wollen vor Gericht die Wiederherstellung der gemeinsamen Strompreiszone mit Deutschland erzwingen. Sie möchten wieder den Zustand vor 1. Oktober, als Austro-Stromkunden von den günstigeren Preisen beim Nachbarn profitierten - die jährlichen Mehrkosten schätzt man auf 400 Millionen Euro im Jahr.
Beim Oberlandesgericht (OLG) Wien bringen die Vier in den nächsten Tagen einen gemeinsamen Antrag auf Abstellung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gegen den deutschen Übertragungsnetzbetreiber TenneT ein. Der Vorwurf: TenneT wolle innerdeutsche Netz-Engpässe mit der Einführung der Engpassbewirtschaftung an der österreichisch-deutschen Grenze beheben. Dadurch komme es zu einer wettbewerbswidrigen Marktverzerrung, da die Engpässe eigentlich nicht an der Grenze, sondern innerhalb Deutschlands lägen.
"Kein wettbewerbswidriges Verhalten setzen"
"Wir wollen auf den Zustand vor dem 1. Oktober zurück", sagte Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber dazu am Dienstag zur APA. TenneT dürfe kein wettbewerbswidriges Verhalten setzen, auch wenn die Auftrennung der früheren Stromhandelszone auf Veranlassung des Regulators im Nachbarland, der Deutschen Bundesnetzagentur, erfolgt sei. TenneT habe es verabsäumt, auch die volkswirtschaftlichen Effekte der Preiszonentrennung zu analysieren, wie dies das EU-Recht vorsehe. Der deutsche Übertragungsnetzbetreiber habe den einfachen, bequemen Weg gewählt und sich nur seine Netzthematik angesehen, argumentiert der Verbund. Auch wird auf einen schwedisch-dänischen Präzedenzfall aus dem Jahr 2010 verwiesen, bei dem die EU-Kommission gegen die Verlagerung eines Netzengpasses an die Grenze vorgegangen sei.
Wie lang das gerichtliche Verfahren dauern kann, wagt man beim Verbund nicht abzuschätzen - rechnet aber damit, dass es bis auf die europäische Ebene hinaufgehen wird. Die Gefahr, dass eine Renaissance der früheren Strompreiszone wieder Kritiker an ungewünschten Stromflüssen auf den Plan ruft, sieht man nicht. Die polnische Loop-Flow-Problematik sei netztechnisch gelöst, auch durch Phasenschieber.
Mehrkosten für Betriebe und Haushalte
Die jährlichen Mehrkosten für die österreichischen Stromkunden durch die Trennung der Preiszone werden im Verbund aktuell auf an die 400 Millionen Euro geschätzt, Industrie und Haushalte zusammen. Zugrunde liegen dieser Rechnung die Day-Ahead-Preisaufschläge auf das günstigere deutsche Niveau, die von Anfang Oktober bis Anfang Jänner im Schnitt 7 Euro pro Megawattstunde (MWh) betragen haben.
Auf Basis der aktuellen Terminmarktpreise - aktuelles Preisdelta 3,1 Euro/MWh (ohne Grenzhandel) - betrage die zusätzliche Belastung der heimischen Endkunden "nur" 185 Millionen Euro, davon 80 Millionen für die Industrie und 60 Millionen Euro für die Haushalte, doch laufe es in Wahrheit auf die 400 Millionen Euro jährlich hinaus. "In realiter muss man das so rechnen", betont Stephan Sharma von der Verbund-Trading-Geschäftsführung.
Allein 50 Prozent der Mehrbelastung der Industrie entfallen auf energieintensive Branchen, nämlich Metallerzeugung/-bearbeitung, Papier/Pappe, Glas/Keramik und Chemie - deshalb ist neben der Voest unter den vier "Klägern" auch austropapier, der Interessenverband der heimischen Papierindustrie. Die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) ist kurz vor Weihnachten von 300 Millionen Euro Mehrkosten für den Standort Österreich ausgegangen, Unternehmen und private Konsumenten zusammengerechnet.
Debatte über marktbeherrschende Stellung
Bedarf für eine Strompreiserhöhung für seine Endkunden aus dem Titel der Beendigung der gemeinsamen Stromhandelszone sieht der Verbund vorderhand nicht, wie Anzengruber auf Anfrage meinte. Man sehe sich jetzt einmal an, wohin die Reise preislich gehe. Mittelfristig werde der Verbund seine Preise wohl ebenfalls anpassen müssen - seit Mitte 2018 haben ja schon viele heimische Versorger ihre Endkundenpreise erhöht. Der stärkste Einfluss auf das Strompreisniveau geht freilich von den internationalen Kohlepreisen und den CO2-Notierungen aus.
Dass der heimische Regulator E-Control unter den neuen Stromhandelsgegebenheiten auch den Verbund als großen Player genauer beobachtet, beunruhigt Anzengruber nicht. Der Regulator solle das ruhig machen, denn ein unerlaubtes Ausnützen einer marktbeherrschenden Stellung sei für den Verbund ohnedies "ein No-Go, das ist überhaupt kein. Thema", betont der Chef des Stromkonzerns. Der E-Control-Vorstand hatte im Oktober angekündigt, er werde die heimischen Top-Player der E-Wirtschaft genauer observieren, weil sie am nunmehr "kleineren" Markt Österreich (früher Österreich-Deutschland zusammen) die für die Frage einer beherrschenden Stellung relevanten Hürden leichter überspringen können. Laut heimischem Recht liegt eine marktbeherrschende Stellung vor, wenn ein Unternehmen einen Anteil von 30 Prozent am relevanten Markt einnimmt oder drei Unternehmen zusammen mindestens 50 Prozent. Allerdings decken sich die Ansicht darüber, was unter einem "relevanten Markt" zu verstehen ist, zwischen dem Regulator und Stromversorgern nicht immer, verhehlt auch der Verbund nicht.