Im Kampf gegen eine massive Währungskrise greift die türkische Regierung zu drastischen Maßnahmen. Sie will nun Menschen für negative Kommentare über die wirtschaftliche Lage und den Absturz der Lira bestrafen.
Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete am Montag, Staatsanwälte in Ankara und Istanbul gingen nun gegen Personen und Konten in sozialen Medien vor, die die "wirtschaftliche Sicherheit" des Landes gefährden, indem sie falsche Berichte oder "Spekulationen" unter anderem über den Zustand öffentlicher Unternehmen oder Banken verbreiteten.
Staatspräsident Erdogan verteidigte das Vorgehen gegen Kritiker während einer Rede vor einem Publikum von Diplomaten in Ankara. Er nannte sie "Wirtschaftsterroristen". Sie hätten "Verrat" begangen. Jene, die "Spekulationen" verbreiteten, sollten dafür zahlen. Das Innenministerium meldete, dass Ermittlungen gegen die Betreiber von 346 Konten in sozialen Medien im Gange seien. Sie hätten mit ihren Berichten oder Kommentaren den Anstieg des Dollar zur Lira gestützt.
Zweistellig gefallen
Im asiatischen Handel war der Wert der türkischen Währung in der Früh zum Euro und US-Dollar zeitweise erneut zweistellig gefallen. Erstmals mussten mehr als sieben Lira für einen US-Dollar und über acht Lira für einen Euro gezahlt werden. Grund war das Inkrafttreten neuer Strafzölle der USA gegen die Türkei. Die Börsen fürchten nun eine Zahlungskrise in dem Land: Mit dem Absturz der Lira werden Importe teurer, was die ohnehin hohe Inflation in der Türkei treibt. Auch Schulden von Banken in ausländischen Währungen steigen.
Die Lira verliert schon seit Monaten an Wert, aber ein Streit mit den USA um das Schicksal des US-Pastors Andrew Brunson, der in der Türkei wegen Terrorvorwürfen festgehaltenen wird, hatte sie in den freien Fall befördert. Am Freitag hatte Präsident Donald Trump dann die Verdoppelung der Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus der Türkei verkündet.
In seiner Rede vor der Botschafterkonferenz verschärfte der türkische Staatspräsident auch seine verbalen Angriffe gegen die USA und Trump. Ohne sie direkt zu erwähnen, nannte er die Vereinigten Staaten die "Kraftmeier des globalen Systems". An Trump gerichtet sagte er: "Du kannst nicht einfach aufwachen und sagen "ich führe diese Zölle auf Stahl und Aluminium ein. Das kannst Du nicht sagen"." Er verwies darauf, dass der Türkei als NATO-Partner damit "in den Rücken und die Füße geschossen" worden sei.
Kriegsrethorik
Erdogan deutete gar an, dass die Türkei bereit zu einem Krieg sei. Staaten, die Frieden wollten, müssten bereit zu Krieg sein, sagte er. "Wir sind bereit, mit allem, was wir haben." In Äußerungen vom Vormittag hatte Außenminister Mevlüt Cavusoglu den USA Gesprächsbereitschaft signalisiert. Aufzwingen lasse die Türkei sich aber nichts.
Der Finanzminister und die Zentralbank hatten am Montag Notfallmaßnahmen ergriffen. Die Notenbank, die in der Krise lange unsichtbar geblieben war, ließ unter anderem verlauten, dass Banken sich zusätzliche Mittel in Fremdwährung leihen könnten. Es würden alle Schritte ergriffen, um die Finanzstabilität zu sichern. Der Lira-Kurs erholte sich daraufhin etwas.
Der Türkei-Experte des WIIW (Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche), Richard Grieveson, empfahl im Gespräch mit der APA eine deutliche Anhebung des Leitzinses: "Eine Anhebung um rund 500 Basispunkte wäre wahrscheinlich das Minimum". Grieveson rechnet mit einer Insolvenzwelle vor allem bei türkischen Firmen, die keine Devisen erwirtschaften, aber in Devisen verschuldet sind. Österreichs Wirtschaft sei aber von der Lira-Krise wenig betroffen. "Der Außenhandel mit der Türkei ist nicht sehr wichtig für Österreich, der Handel mit der Türkei macht nur etwa ein Prozent des österreichischen Außenhandelsvolumens aus." Auch die österreichischen Investitionen in der Türkei sind zuletzt stark zurückgegangen.
Versuche Vertrauen zu schaffen
Der türkische Finanzminister Berat Albayrak wiederum versuchte, mit einer Serie von Tweets und Interviews Vertrauen zu schaffen. Er versprach einen "Aktionsplan". Zudem sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, dass Einlagen nicht beschlagnahmt und Devisen auf Bankkonten nicht in Lira umgewandelt würden.
Analysten wie Türkei-Spezialist Timothy Ash kritisierten, dass das hätte früher passieren müssen, bevor die asiatischen Börsen öffneten. "Sie sind immer hinterher, müssen immer aufholen, sind immer zu spät dran, und dann ist der Schaden angerichtet", twitterte er.
Ein zentraler Kritikpunkt von Investoren und Analysten ist, dass Präsident Erdogan in der Besetzung von Schlüsselposition Loyalität vor Expertise gestellt hat. Der amtierende Finanzminister ist sein Schwiegersohn. Außerdem hatte Erdogan mit unorthodoxen Auffassungen Investoren verunsichert - und besteht auch in der Krise auf seinen Thesen. So ist er anders als Ökonomen ein Gegner von Zinserhöhungen, um die massive Inflation von mehr als 15 Prozent im Land zu stoppen.
Harter Ton gegen USA
Für Verunsicherung sorgt auch Erdogans unversöhnlicher Ton. Schon am Wochenende hatte er in mehreren Reden den Ton im Streit mit den USA verschärft. Er sprach von "Kampagnen" gegen die Türkei und einem "Wirtschaftskrieg" und lehnte zugleich eine von Ökonomen angeregte Intervention des Internationalen Währungsfonds (IWF) ab.
Die Krise in der Türkei schreckt auch die deutsche Wirtschaft auf. So fürchtet der Maschinenbauerverband VDMA weitere Export-Rückgänge in das Land. Für die deutsche Wirtschaft ist die Türkei aber ein relativ kleiner Handelspartner: 2017 gingen Waren im Wert von 21,5 Milliarden Euro aus Deutschland in das Land am Bosporus. Die Türkei liegt als Exportmarkt der Bundesrepublik damit auf Rang 16. Zum Vergleich: Das Ausfuhrvolumen in die USA betrug 111,5 Milliarden Euro.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich unterdessen besorgt über die Lage in der Türkei. "Niemand hat ein Interesse an einer wirtschaftlichen Destabilisierung der Türkei", sagte sie in Berlin. Die EU profitiere von einer stabilen Wirtschaftslage in ihrer Nachbarschaft. "Deutschland möchte jedenfalls eine wirtschaftlich prosperierende Türkei. Das ist auch in unserem Interesse."