Während IV-Präsident Georg Kapsch heute neuerlich betonte, dass auch künftig in Summe nicht mehr gearbeitet werde, sprechen ÖGB und Arbeiterkammer von Lohnraub und sehen die Gesundheit der Arbeitnehmer in Gefahr.
Umstritten ist etwa, ob Arbeitnehmer mit Gleitzeitverträgen bei einer Verlängerung auf 12 Arbeitsstunden pro Tag um ihre Überstundenzuschläge umfallen. IV-Präsident Kapsch bekräftige heute per Aussendung, dass auch nach nochmaliger Analyse des vorliegenden Initiativantrages "der Beibehaltung des gegenwärtigen Überstundenreglements bei Gleitzeit eindeutig nichts entgegensteht".
Geändert werde bei der Gleitzeit somit lediglich die maximale gesetzliche Tages- und Wochenhöchstarbeitszeit. Angeordnete Überstunden würden weiterhin als solche entlohnt werden. "Das heißt, was heute schon für die 9. und 10. Stunde gilt, soll künftig erweitert bis zur 12. Stunde gelten." Gleitzeitvereinbarungen würden zudem nach wie vor der Betriebsvereinbarungs- oder Einzelvereinbarungspflicht unterliegen.
Im Hinblick auf die EU-Arbeitszeitrichtlinie, die binnen 17 Wochen eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden zulasse, dürfe auch künftig in Summe nicht mehr gearbeitet werden, sondern lediglich anders verteilt - was zum Vorteil sowohl der Arbeitnehmer als auch der Unternehmen sei, so der Standpunkt der Industriellenvereinigung.
"Märchen von Freiwilligkeit"
Nach Ansicht von AK-Präsidentin Renate Anderl erzählen die Arbeitgebervertreter allerdings "Märchen", von "Freiwilligkeit" könne beim neuen Gesetz zum 12-Stunden-Tag keine Rede sein. Die Arbeitnehmer müssten vielmehr künftig begründen, warum sie keine 11. und 12. Stunde am Tag arbeiten wollen, damit verschiebe sich die Beweislast von den Arbeitgebern zu den Arbeitnehmern.
Der ÖGB hat heute angekündigt, mit allen zur Verfügung stehenden legalen Mitteln gegen den 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche vorzugehen. Das sollen zunächst Betriebsversammlungen sein, für den 30. Juni hat ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian eine Demonstration in Wien angekündigt.
NEOS wollen Gipfel für "vernünftige Lösung"
Die NEOS sehen im Vorschlag der Regierung zur Arbeitszeitflexibilisierung ein "Husch-Pfusch-Gesetz", das "grobe Mängel hat". ÖVP und FPÖ sollten "runter vom hohen Ross", die SPÖ wiederum ihre "Panikmache" einstellen, damit man gemeinsam zu einer vernünftigen Lösung komme, forderte NEOS-Chef Matthias Strolz. Die Oppositionspartei lädt deshalb alle Sozial- und Wirtschaftssprecher zu einem Gipfel.
Stattfinden soll die Zusammenkunft in einer Woche am 27. Juni nach dem Sozialausschuss, kündigte Strolz, der die NEOS sozusagen als "Vermittler" sieht, am Mittwoch bei einer Pressekonferenz an. Es gelte, eine"vernünftige, faire Lösung" zu schaffen. Strolz begrüßte auch die von der SPÖ geplante Sondersitzung des Nationalrats. "Retten wir gemeinsam die Arbeitszeitflexibilisierung", appellierte er an die anderen Parteien. Notwendig sei eine solche allemal, denn die derzeitigen Regelungen seien "unbrauchbar" und praxisfern, ein "Humbug" und eine "Zumutung" sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer.
"So geht's nicht"
Was ÖVP und FPÖ zuletzt vorgelegt haben, ist für Strolz aber auch nicht das Gelbe vom Ei: "So geht's nicht", die Vorschläge seien unvernünftig und nicht fair. Es gebe viele ungenaue Rechtsbegriffe, ein "Verwirrspiel" um Zuschläge, Gleitzeit und Freiwilligkeit, problematische Ausnahmen (Stichwort "dritte Führungsebene") und widersprüchliche Aussagen innerhalb der Regierungsparteien, monierte Strolz. Zudem halte die Koalition keine Begutachtung ab und binde die NEOS nicht ein, obwohl man ja das Anliegen teile - für Strolz ein Zeichen der "Überheblichkeit und Ignoranz" von ÖVP und FPÖ. "Das ist inakzeptabel." Fazit des Klubchefs: Die Koalition agiere "überhastet und dilettantisch".
"Die machen das Projekt kaputt", ärgerte sich auch NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker. Das Gesetz schaffe Rechtsunsicherheit, etwa wann man eine Überstunde ablehnen könne und wann nicht. Außerdem werde Ungleiches gleich behandelt, kritisierte er: Schwere körperliche Arbeit im Schichtdienst mit einem viel höheren Unfallrisiko sei anders zu sehen als ein Büromitarbeiter, der sich im Rahmen der Gleitzeit seine Arbeitszeit selbst einteilen kann. "Natürlich provozieren diese Unklarheiten Widerstand", meinte Loacker - damit sei aber die gesamte Reform gefährdet, befürchtete er.