Herr Boos, künstliche Intelligenz ist so revolutionär wie die Erfindung des Rades, sagen Sie. Fürchten sich deshalb so viele Menschen vor künstlicher Intelligenz und deren Auswirkung?
CHRIS BOOS: Ich glaube der Grund liegt darin, dass wir nicht genug erklären und aufklären, was die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz sind und wie Menschen davon profitieren. Unwissenheit macht immer Angst.
Was haben wir von der künstlichen Intelligenz?
In den vergangenen 100 Jahren haben wir Menschen, damit sie ihr „täglich Brot“ verdienen, immer mehr wie Maschinen arbeiten lassen – beispielsweise mit repetitiven und unkreativen Aufgaben. Aber der Mensch ist ja genau das Gegenteil einer Maschine. Ich glaube, dass künstliche Intelligenz den Menschen die Möglichkeit geben wird, dass sie wieder zurückkehren können zum Mensch sein.
Die Politik überbietet sich damit Ängste zu schüren, wie viele Arbeitsplätze uns Roboter künftig wegnehmen werden, die Hälfte bis 2/3 ist da die Rede. Hat sie Recht?
Da hat die Politik mit Sicherheit Recht. Was die Politik allerdings noch nicht kapiert, ist, dass Arbeitsplätze nicht nur verschwinden, sondern auch neue hinzukommen. Die spannende Frage ist, wie schaffen wir den Übergang von jetzt zu später. Weil aber viele Menschen so viel Angst vor dem Übergang haben, denken sie darüber viel zu wenig nach.
Sie meinen, die Angst ist unberechtigt?
Ich glaube, dass wir momentan die einmalige Chance haben, dass dieser Übergang für die Menschen positiv verlaufen wird. Warum? Weil die neuen Tech-Unternehmen wie Google, Amazon, Apple oder Alibaba nicht Bestehendes verbessern, sondern etwas völlig Neues erschaffen. Das setzt wiederum die etablierte Wirtschaft enorm unter Druck – weil sie schon jetzt wissen, dass morgen niemand mehr ihr Produkt kaufen möchte. Sie stehen also vor der Entscheidung neue Produkte und bessere Services anzubieten oder sich ihrem Schicksal zu ergeben. Durch die Anwendung von künstlicher Intelligenz erhalten Unternehmen aber den Freiraum, den sie brauchen, um wieder konkurrenzfähig zu sein.
Das klingt alles sehr zuversichtlich. Was ist die negative Seite dieser Revolution?
Die negative Seite ist untätig zu bleiben. Meine Vorhersage ist: wenn wir das jetzt nicht machen, dann gehören die aktuellen G20 Länder in zehn Jahren nicht mehr zu den G20.
Bewegen oder untergehen?
So ist es!
Ist das der Grund, warum Sie Kanzlerin Merkel kürzlich einen Brief geschrieben und eine Willkommenskultur für Innovationen gefordert?
Ich habe den Brief geschrieben, weil ich glaube, dass die Lage in Deutschland besser ist, als wir denken – wir uns aber ständig mit kleinen, für die Zukunft völlig irrelevanten Problemen beschäftigen. Digitalisierung finden sie in jedem Parteiprogramm, aber das einzige was drinnen steht, ist die Forderung nach einem leistungsfähigen Internet. Aber das ist nicht die Antwort. Die Antwort ist eine Gesellschaft, die das möchte!
Warum soll die Gesellschaft das wollen?
Erstens weil es tatsächlich großen Druck gibt. Wenn wir unseren komfortablen Lebensstandard erhalten wollen, dann müssen wir vorangehen. Zweitens weil wir uns verbessern wollen. Im Sinne von mehr Dinge tun, die uns menschlicher und glücklicher machen als unsere jetzige Arbeitswelt.
Sie haben gemeint, wir Menschen arbeiten auf Effizienz getrimmt. Kann man sagen, dass intelligente Maschinen der Ausweg aus diesem Hamsterrad sind?
Das ist exakt, was ich denke. Es stimmt einfach nicht, dass die Digitalisierung alle Jobs vernichtet und es keine neuen geben wird. Wir tun heute nämlich bei weitem nicht alles, was notwendig ist. Im Gegenteil - es sieht es so aus, als würden wir sehr wenig von dem tun, was notwendig wäre. Stellen wir uns also vor, eine Maschine würde alles machen, was zu tun möglich ist. Dann könnten wir uns endlich auf Tätigkeiten konzentrieren, die nötig sind. Darum geht es. Wir bekommen unsere Zeit zurück.
Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, was nicht erledigt wird?
Wir kümmern uns viel zu wenig um unser Bildungssystem oder alte Menschen – finanziell und menschlich. Und wir sollten mehr Forschung in den Klimawandel stecken. Das alles wird ja nicht gemacht und es hat keiner Geld und Zeit dafür.
Wenn der Wandel so schnell kommt wie Sie meinen, dann fehlt uns ja die Zeit für den Wandel.
Deswegen sprach ich ja vom Übergang. Die Zukunft ist tatsächlich gut, der Übergang wird für uns von der New Economy erledigt. Sie zwingt uns dazu.
Es geht also darum, die Vergangenheit und die Zukunft bestmöglich zu verbinden?
Darum geht es doch immer, oder? Das ist unser Leben. Und genau dazu brauchen wir das Wissen und die Erfahrung ganz vieler. Vergessen ist daher keine gute Idee, unserer Gesellschaft muss die Erfahrung, die wir angehäuft haben, etwas wert sein.
Vieles von dem worüber wir jetzt sprechen läuft darauf hinaus, dass wir unser Denken verändern müssen. Wie aber geht das?
Das Denken können sie bei den Menschen nur verändern, indem sie mit ihnen reden, indem sie ihnen die Angst davor nehmen, weiter zu denken. Denken können sie nicht durch ein Gesetz verändern. Ich beschäftige mich 20 Prozent meiner Zeit damit, mit Menschen über künstliche Intelligenz zu reden, damit sie mehr verstehen und sehen, dass da etwas Gutes drinnen steckt. Am Ende ist künstliche Intelligenz ein dummer Blechkasten, der die Erfahrung von Menschen multipliziert. Ohne die Menschen geht es also gar nicht!
Wenn sie an das Jahr 2050 denken: was werden Maschinen machen, was Menschen?
Das ist wirklich sehr weit weg. Ich glaube, 2050 wird fast alles, was wir als heutige Arbeiten kennen, von Maschinen erledigt werden. Es werden viel mehr Menschen existieren, die sich mit der Erforschung der Umwelt beschäftigen. Neugierige Menschen, Menschen die wissen wollen, wie etwas funktioniert. Ich glaube, dahin wird unser Weg gehen.
Bleiben wir im Jahr 2050. Wird es die denkende Maschine weiter nur im Film geben oder wird sie real sein?
Das ist tatsächlich nicht vorherzusagen. Ich würde nicht sagen, es wird diese denkende, selbstbewusste Maschine nie geben – aber wir werden sie mit Sicherheit nicht in den nächsten 10, 15 Jahren erleben. Ob es sie allerdings in 50 Jahren gibt, kann ich nicht sagen.
Auch künstliche Intelligenz braucht also Spielregeln.
Früher oder später natürlich. Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, wie man die Technik für etwas Gutes einsetzt und nicht für etwas Schlechtes. Und wir müssen uns entscheiden, bei wem die Frage von Moral und Ethik liegt. Wir tun ja manchmal so, als würden wir diese Frage am liebsten an die Maschine abgeben. Als Menschen dürfen wir uns aber dieses Zepter nicht aus der Hand nehmen lassen. Moral und Ethik sind nichts, was andere für uns tun und schon gar nicht Maschinen.
Wo stößt denn die künstliche Intelligenz an ihre Grenzen?
Es ist nicht absehbar, dass Maschinen kreativ sind. Überhaupt nicht, weil ja Kreativität das Gegenteil ist von dem, was wir von Maschinen wollen. Kreativität, Kunst, Pioniertum hat ja etwas damit zu tun, dass man sich gegen den Strom bewegt. Kunst ohne Überzeugung und Leidenschaft ist unvorstellbar.
Eine Maschine wird also nicht kreativ sein können, weder Selbstbewußtsein, Empathie noch Gefühle haben.
Maschinen, wie es sie bereits gibt, können das überhaupt nicht. Für die Zukunft will ich das nicht ausschließen, aber das ist natürlich unmöglich vorherzusagen. Das entbindet uns aber nicht davon, die Eigenschaften, die uns menschlich machen, bei uns zu fördern.
Kreativität, Erfahrung, Wissen, Gefühle sind am Ende das Trumpf-Ass der Menschen über die Maschine.
Genau so ist es.
Michael Csoklich