Seit Anfang September ziehen die Preise an den Terminmärkten kontinuierlich an. Besonders begehrt ist derzeit Diesel, nachdem der Wirbelsturm "Harvey" die Raffinerien in den USA lahmlegte. Hinzu kommt die steigende Nachfrage aus China, Indien und Europa. "Die Vorräte schrumpfen schneller als gedacht", stellen Branchenvertreter fest, die sich dieser Tage in Singapur treffen. Die seit dem Sommer 2015 nicht mehr überschrittene Preismarke von 60 Dollar je Fass (159 Liter) Nordseeöl rückt wieder näher.
Mit 59,49 Dollar (50,13 Euro) kostete Brent am Dienstag zeitweise so viel wie seit Juli 2015 nicht mehr. Damals hatte kurz danach die rasante Talfahrt der Preise begonnen, die erst unter 30 Dollar im Jänner 2016 zum Halten kam.
Viele verschiedene Gründe
Zu der sich nun abzeichnenden Trendwende trägt auch die Kurdenpolitik der Türkei bei. Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte wegen der Unabhängigkeitsabstimmung irakischer Kurden damit, die Öl-Exporte aus der Region durch sein Land zu blockieren. Pro Tag fließen schätzungsweise etwa 500.000 Barrel durch die türkischen Pipelines. "Sollte Erdogan seine Drohung wahr machen und den Abnahmestopp über längere Zeit aufrechterhalten, wäre der globale Ölmarkt unterversorgt", konstatieren die Analysten der Commerzbank.
Auch der Wirbelsturm "Harvey" spielt eine Rolle. Er fegte Ende August über den Großraum Houston hinweg, wo zahlreiche Raffinerien angesiedelt sind. Deren Ausfall führte dazu, dass plötzlich mehr Öl auf dem Markt war als sich verarbeiten ließ. Daher fielen die Ölpreise zunächst - um dann aber deutlich anzuziehen. Denn die Angebotslücke zog eine Kettenreaktion nach sich. "Der Weltmarkt brauchte andere Versorgungsangebote", erläutert Shell-Vizepräsident Mike Muller. "Wie ersetzt man Diesel, das normalerweise aus Nordamerika geliefert wird - eine Million Fässer am Tag? Man zapft die europäischen Vorräte an, und Europa muss sich dann wieder aus Asien Diesel besorgen." BP-Managerin Janet Kong ergänzt: "Die weltweite Nachfrage ist deutlich höher, als wir das in den vergangenen Jahren gesehen haben." Das liege auch an dem überraschend hohen Bedarf an Destillaten wie Diesel und Kerosin.
Konjunktur besser als gedacht
Zudem entwickelt sich die Konjunktur in vielen Ländern besser als gedacht. Dadurch steige die Rohstoffnachfrage, erklärt Franco Magnani, Manager beim italienischen Ölkonzern ENI. "Die meisten Volkswirtschaften der Welt weisen ein Wachstum auf oder sind relativ stabil." Das gelte auch für Europa nach Jahren der Krise. Adi Imsirovic, Chef des Ölhandels bei Gazprom Marketing and Trading, resümiert: "Wir erwarten, dass die Preise in den nächsten Monaten Kurs auf über 60 Dollar nehmen. Grund ist einzig und allein die überraschend hohe Nachfrage."
Doch irgendwann könnte nach Ansicht vieler Marktbeobachter die US-Ölbranche den Preisanstieg wieder bremsen. Denn je höher die Preise liegen, desto attraktiver wird für die US-Amerikaner das Herauspressen von Öl aus Schiefergestein (Fracking). Die seit Monaten zunehmende Frackingtätigkeit hält den Preis für US-Leichtöl WTI in Schach. Er ist in den vergangenen Wochen deutlich weniger stark gestiegen als Brent und liegt mit rund 52 Dollar je Fass nur auf einem Fünf-Monats-Hoch. Der durch das Fracking ausgelöste Ölboom in den USA hatte die Preise in den vergangenen Jahren unter Druck gesetzt. Die OPEC und andere Förderländer wie Russland bremsten die Talfahrt erst, als sie mit Beginn dieses Jahres eine Produktionsbremse auf den Weg brachten. Diese läuft noch bis März 2018. Eine Verlängerung gilt inzwischen als wahrscheinlich.