Kartellverdacht in der deutschen Autoindustrie: Jahrelang soll es Absprachen zwischen den Branchenriesen gegeben haben. Bewahrheiten sich die Vorwürfe, könnte es für die Unternehmen teuer werden.
Um welche Anschuldigungen geht es?
Volkswagen mit seinen Töchtern Audi und Porsche sowie Daimler und BMW sollen sich seit den 1990er-Jahren in geheimen Arbeitsgruppen über ihre Fahrzeuge abgesprochen haben. VW und Daimler sollen bei den Wettbewerbsbehörden entsprechende Schriftsätze eingereicht haben. Sowohl das Bundeskartellamt als auch die EU-Kommission haben Informationen erhalten.
Wer befasst sich mit den Vorwürfen?
Es ist immer nur eine Behörde mit den Vorwürfen befasst, in diesem Fall die Kommission. Parallele Vorgänge gibt es nach Auskunft der Bundesregierung nicht, die EU-Kommission kooperiert aber eng mit den nationalen Behörden. Laut EU-Kreisen werden die Informationen derzeit bewertet, es sei aber noch zu früh, um über mögliche Konsequenzen zu sprechen. Der nächste Schritt wäre die Einleitung einer formellen Prüfung der Vorwürfe.
Was wären die Höchststrafen in einem EU-Kartellverfahren?
Den Unternehmen drohen Milliardenstrafen: Kartellverfahren gehören zu den schärfsten Schwertern der EU-Kommission. Die Strafen hängen von Umfang und Dauer des Kartells ab. Die Behörde kann insgesamt Strafen von maximal zehn Prozent des Jahresumsatzes eines Unternehmens verhängen. Basis ist dabei das Geschäftsjahr vor einer Strafentscheidung. Im vergangenen Jahr hatte die Kommission gegen ein Kartell aus fünf Lkw-Bauern wegen Preisabsprachen eine Gesamtstrafe von 2,93 Milliarden Euro verhängt - das ist die bisher höchste Geldbuße in einem EU-Kartellverfahren.
Können beteiligte Unternehmen die Strafe verhindern?
Ja. Bei der EU-Kommission gibt es wie beim Bundeskartellamt auch eine Kronzeugenregelung. Im Fall des Lkw-Kartells kam der Hersteller MAN vollkommen ungeschoren davon und vermied eine Strafe von 1,2 Milliarden Euro. Um die Strafe zu hundert Prozent erlassen zu bekommen, muss ein betroffenes Unternehmen "das erste sein, das die Kommission über ein unentdecktes Kartell informiert". Die Informationen müssen dazu führen, dass die Behörde "Untersuchungen auf dem Firmengelände" der mutmaßlichen Kartellmitglieder veranlassen kann.
Welche Strafnachlässe gibt es noch?
Für alle weiteren Kartellmitglieder gibt es ein abgestuftes Rabattverfahren, wenn sie den EU-Ermittlern bei der Untersuchung einen "bedeutenden Zusatzwert" liefern. Das erste solche Unternehmen bekommt einen Nachlass von 30 bis 50 Prozent auf die Strafe, das zweite 20 bis 30 Prozent und alle anderen maximal 20 Prozent. Einen weiteren Nachlass können Firmen bekommen, wenn sie in dem Verfahren kooperieren und die Vorwürfe anerkennen. Bei den Lkw-Herstellern waren das jeweils zehn Prozent Abschlag.
Was bedeutet das alles für Verbraucher?
Nach Einschätzung des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) droht der Autoindustrie eine Klagewelle durch Verbraucher. Viele Kunden haben wegen der mutmaßlichen Kartellabsprachen demnach möglicherweise zu viel für ihre Autos gezahlt. Die Verbraucherschützer rechnen mit Zehntausenden von Verfahren, in denen Käufer Schadenersatz verlangen werden. Der frühere Chef der Monopolkommission, Daniel Zimmer, sagte indes dem "Tagesspiegel", dass es für Käufer schwer werden dürfte, nachzuweisen, dass ihnen durch die Absprachen ein Schaden entstanden ist.
Trüben die Vorwürfe das Image der Branche?
Der vzbv spricht von "organisierter Verbrauchertäuschung" und einem "Totalschaden für Verbraucher", sollte sich der Kartell-Vorwurf bestätigen. An den Börsen gaben die Kurse der Autobauer nach dem "Spiegel"-Bericht nach. Die Vorwürfe dürften das Ansehen der Automobilindustrie weiter schädigen, die noch immer mit dem Diesel-Abgasskandal kämpft. Außerdem hängen beide Stränge offenbar zusammen: Durch ihre Absprachen und die angebliche Einigung auf zu kleine AdBlue-Tanks könnten die Autobauer den Weg für den Dieselskandal geebnet haben.