Einmal im Monat veröffentlicht die deutsche Bundesagentur für Arbeit (BA) die Arbeitslosenzahlen - und genauso regelmäßig sieht sich die Behörde Vorwürfen ausgesetzt, sie verschleiere das wahre Ausmaß der Erwerbslosigkeit. Vor allem wenn Rekordmarken fallen, erregt das Aufmerksamkeit.

Mit den Mai-Zahlen konnte die BA am Mittwoch vermelden, dass die Statistik erstmals seit 1991 weniger als 2,5 Millionen Arbeitslose ausweist. Dabei sind die 26 Jahre auseinanderliegenden Zahlen aber nur eingeschränkt vergleichbar.

Zusätzliche Statistik zur "Unterbeschäftigung"

BA-Vorstandsmitglied Valerie Holsboer verweist auf eine ältere Umfrage, wonach drei von vier Befragten den BA-Zahlen nicht glauben. Doch die Statistiker halten den Argwohn ihrer Kritiker für unberechtigt. Seit 2009 schafft die BA mit einer zusätzlichen Statistik zur "Unterbeschäftigung" eine Transparenz, die es in kaum einem anderen Land gibt. Für die BA sei das die wichtigere Zahl, sagt deren Statistik-Chefin Silke Delfs: "Denn sie berücksichtigt zusätzlich auch Menschen, die ohne den Einsatz von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen oder die Existenz von Sonderregelungen arbeitslos wären."

Wer nur auf die Arbeitslosenzahl blickt, sieht nur einen Teil der Wirklichkeit. Es gibt strikte gesetzliche Vorgaben, wer als arbeitslos gezählt wird. So wurden im Mai rund 72.900 kurzfristig erkrankte Jobsucher und rund 161.200 Erwerbslose im Alter von über 58 Jahren nicht mitgezählt. Diese Vorgaben legt die Politik fest, bisweilen auch gegen den Widerstand der BA.

Seit 1986 gab es laut BA 17 gesetzliche Änderungen, die Einfluss auf die Erfassung der Arbeitslosigkeit hatten. Das begann unter Bundeskanzler Helmut Kohl mit der Festlegung, dass Personen, die über 58 Jahre alt sind, aus der Statistik fielen, wenn sie "unter erleichterten Bedingungen" Arbeitslosengeld bezogen. Sie mussten sich dann nicht mehr bei den damaligen Arbeitsämtern melden. Auch Rot-Grün unter Kanzler Gerhard Schröder schraubte an der Statistik: Seit 2004 werden Teilnehmer von Trainings- und Eingliederungsmaßnahmen nicht mehr als arbeitslos gezählt. Etwa 100.000 fielen damit auf einen Schlag aus der Statistik.

Halbherzige Versuche

Doch es gab auch Eingriffe, die zu einer höheren Arbeitslosenzahl führten. Bestes Beispiel dafür sind die umstrittenen Hartz-IV-Reformen, mit denen im Jahr 2005 Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt wurden. Erstmals tauchten damit auch arbeitslose frühere Sozialhilfeempfänger in der Statistik auf. Allein dadurch stieg die Arbeitslosenzahl laut BA um etwa 380.000.

Versuche, die Statistik ehrlicher zu machen, blieben halbherzig: In der großen Koalition wurde 2008 zwar das Ende der unter Kohl eingeführten 58er-Regelung beschlossen. Dafür kam es aber zu einer anderen Einschränkung: Seither fallen Arbeitslose über 58 Jahren aus der Statistik, wenn sie über zwölf Monate keinen regulären Job mehr angeboten bekommen haben. Deren Zahl steigt. Im Mai 2017 waren es rund 161.200 Ältere, die einen Arbeitsplatz suchten, aber nicht als arbeitslos gezählt wurden.

Alle diese Zahlen weist die BA jeden Monat ungeschönt aus - in einer im Jahr 2009 von der Behörde selbst entwickelten Statistik zur Unterbeschäftigung, die zum Arbeitsmarktbericht gehört. Sie zeigt, wie viele Arbeitsplätze mindestens fehlen. Mit 3,526 Millionen lag sie im Mai um eine Million über der Arbeitslosenzahl. Darunter sind Arbeitslose in Ein-Euro-Jobs (rund 85.200), Personen in Fördermaßnahmen außerhalb der BA wie etwa Integrationskursen für Flüchtlinge (257.600) und Menschen in beruflicher Weiterbildung (170.600). Auch frühere Arbeitslose in Programmen zur Aktivierung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt (233.700) werden nicht mitgezählt.

Eingeschränkte Vergleichbarkeit

Doch als Kennziffer für die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hat sich über Jahrzehnte die Arbeitslosenzahl eingebürgert. Das liegt auch daran, das nur für sie lange Zeitreihen vorliegen, die einen Vergleich ermöglichen. Nur so konnte die BA ihre Rekordmarke für den Mai vermelden.

Doch vergleichbar sind die Zahlen nur eingeschränkt. 1991 wurde der dramatische Anstieg der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern durch einen massiven Einsatz sozial- und arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen abgefedert, darunter Kurzarbeit. So wurde die Arbeitslosenzahl 1991 in den neuen Bundesländern um fast 1,5 Millionen verringert, wie seinerzeit Wissenschafter des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ausrechneten. Zusammen mit ähnlichen Maßnahmen in den alten Bundesländern fiel die Arbeitslosenzahl bundesweit um gut 1,8 Millionen geringer aus. Als "Entlastung der Arbeitslosenzahl" wurde dies damals bezeichnet.

So gesehen ist die Zahl von knapp 2,5 Millionen Arbeitslosen im Mai 2017 aussagekräftiger als im Juni 1991. Dass der Arbeitsmarkt derzeit weitaus besser dasteht als direkt nach der Wiedervereinigung, zeigen auch die Erwerbstätigenzahlen. Im Bundesgebiet gingen 1991 etwa 36 Millionen Menschen einer Erwerbstätigkeit nach - im April 2017 waren es nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes knapp 44 Millionen.