Gramatneusiedl in Niederösterreich ist seit Herbst 2020 für das Arbeitsmarktservice ein interessantes Versuchsfeld: In der Gemeinde wurde allen Langzeitarbeitslosen ein Job verschafft. Für die meisten Betroffenen sind derart von der öffentlichen Hand finanzierte Maßnahmen die einzige Chance, beruflich wieder Anschluss zu finden. Auch, weil es kaum Unternehmen gibt, die Bewerbungen von Arbeitslosen, die länger als ein Jahr ohne Job waren, in die engere Wahl nehmen.
Zahlt es sich aus, Langzeitarbeitslosen als Ausweg eine Jobgarantie auf Gemeindeebene zu geben? Was kostet das? "Die Bruttokosten sind auf den ersten Blick sehr hoch," sagt Nicolas Prinz vom Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung in Wien in einer Online-Pressekonferenz. "Aber der Staat würde sich auch eine Menge ersparen." "Hoch" bedeutet: Rund eine Milliarde Euro für 150.000 Arbeitslose.
Regierung setzt lieber auf "Sprungbrett"
Ob der Ansatz der Jobgarantie im Zuge der gerade wieder anlaufenden Reformdebatte zum Arbeitsmarkt offene Ohren findet, ist fraglich. Die einstige Aktion 20.000, die älteren Arbeitslosen Jobs auf ähnliche Art verschafft hatte, wurde beendet. Aus Sicht des Wiener Soziologie-Professors Jörg Flecker war sie ein Erfolg. AMS-Chef Johannes Kopf war nie ein großer Freund der Maßnahme gewesen. Arbeitsminister Martin Kocher setzt heute vielmehr auf Förderungen für Betriebe, wenn sie Langzeitarbeitslose einstellen. "Sprungbrett" heißt das Programm.
Die Zahlen könnten Kocher recht geben. Denn auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist zuletzt spürbar zurückgegangen - um etwa 40.000. Allerdings ist auch der Leidensdruck der Unternehmen inzwischen riesengroß. Es gibt praktisch keine Branchen mehr, in denen es nicht an qualifizierten Arbeitskräften mangelt. Eine Jobgarantie unterscheidet sich auch in anderer Hinsicht von der Aktion 20.000 und noch viel mehr von Sprungbrett-Förderung: Sie umfasst alle Langzeitarbeitslosen, also nicht nur die besser qualifizierten unter ihnen, sondern auch jene, die als praktisch nicht mehr vermittelbar gelten - etwa aufgrund gesundheitlicher Probleme.
Soziologin Hannah Quinz von der Uni Wien begleitet das Gramatneusiedler Projekt mit dem Namen "Marienthal Reverse" oder "Magma" wissenschaftlich, etwa mit Befragungen oder Interviews der teilnehmenden Arbeitslosen. "Die ersten Ergebnisse zeichnen ein sehr positives Bild," sagt sie. Die Arbeit sei Ausweg aus Monotonie, Stigmatisierung und gefühlter Ausweglosigkeit. "80 Prozent der Langzeitarbeitslosen haben das Gefühl, keinen Einfluss darauf zu haben, Arbeit zu finden," sagt Quinz. Sie zitierte eine Gramatneusiedlerin: "Das war wirklich die Rettung für mich, als hätte Gott gewusst, dass ich Rettung brauche."
Das Projekt Magma wurde für 150 Menschen konzipiert, 70 bis 80 nutzen es während eines Jahres, aktuell sind es laut Quinz 38. Einige haben bereits wieder einen festen "normalen" Job bekommen. Die meisten sind älter als 45, zwei Drittel haben gesundheitliche Einschränkungen. Beim AMS Niederösterreich gibt man sich auf Anfrage extrem zurückhaltend mit Bewertungen, weil man demnächst selbst Daten veröffentlichen will und die endgültige Evaluierung bis 2023 dauern wird. Es gibt eine Holzwerkstatt, aber auch Sanierungsarbeiten gehören zu den typischen Tätigkeiten. Marienthal in der Gemeinde Gramatneusiedl ist übrigens nicht zufällig ausgewählt worden - hier hatte die berühmte Sozialforscherin Marie Jahoda 1932 das Feld für ihre bekannte Studie über die Arbeitslosen von Marienthal gefunden.
"Würde viele Menschen aus der Armut holen"
Die 2021 von Prinz, Tamara Premrov und Leonhard Geyer angestellten Berechnungen zu 150.000 garantierten Jobs kommen jedenfalls zu einem Selbstfinanzierungsgrad von 69 Prozent. Ihre Annahme: Für den Job gibt es 1500 Bruttogehalt, das macht mit Abgaben auf der Arbeitgeberseite 1.868 Euro im Monat, 14-mal im Jahr. Gegengerechnet wurden höhere Einkommensteuern, Sozialabgaben, höhere Mehrwertsteuereinnahmen, Notstandshilfe und Mindestsicherung. Unter dem Strich bleiben dem Staat noch Nettokosten von 568 Euro. Prinz betont: "Darin ist der Wert der Arbeit noch nicht enthalten." Ebenso seien positive Gesundheitseffekte nicht berücksichtigt. "Der Mehrwert übersteigt die Kosten," ist Prinz überzeugt. "Die Jobgarantie würde viele Menschen aus der Armut holen."
Auch Quinz hofft, dass die Überlegungen zu Jobgarantien in die aktuelle Reform-Diskussion einbezogen werden. Quinz: "Es gibt gerade viel Bedarf an neuen Ideen."
Claudia Haase