Mitten im Betrugsprozess um die milliardenschwere Pleite des Finanzkonzerns Wirecard verliert Ex-Vorstandschef Markus Braun seinen Hauptverteidiger. Rechtsanwalt Alfred Dierlamm sagte der Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch, er habe sein Mandat in dem Prozess vor dem Landgericht München aus finanziellen Gründen niedergelegt. Denn das Honorarbudget der zuständigen Manager-Haftpflichtversicherung sei aufgebraucht. „Der Topf ist leer“, sagte Dierlamm.

„Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass der Mandatsbeendigung ausschließlich wirtschaftliche Erwägungen und keine Gründe in der Sache selbst zugrunde liegen“, erklärten Dierlamm und seine Kanzleikollegin Elena-Sabella Meier in einem Reuters vorliegenden Schreiben an das Gericht. Dierlamm gilt als einer der prominentesten deutschen Strafverteidiger in zahlreichen Wirtschaftsverfahren wie im VW-Dieselskandal oder im Cum-Ex-Skandal.

Wer kommt für Prozesskosten auf?

Der einstige Millionär Braun wird in diesem Verfahren nun von Pflichtverteidigern vertreten, die aus der Staatskassa bezahlt werden. Die Federführung übernahm nach eigenen Angaben die Rechtsanwältin Theres Kraußlach, die bereits vor Prozessbeginn im Dezember 2022 zu Brauns Verteidigerteam gestoßen war. Wer letztlich für die Prozesskosten aufkommen muss, wird das Gericht in seinem Urteil entscheiden, das im kommenden Jahr erwartet wird.

Unterdessen sagte der Vorsitzende Richter Markus Födisch in der Gerichtsverhandlung am Mittwoch, dass der frühere Chefbuchhalter von Wirecard mit einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Jahren rechnen müsse. Wenn der Angeklagte Stephan von Erffa die Vorwürfe der Anklage gestehe, komme ein Strafrahmen von sechs bis acht Jahren in Betracht, sagte Födisch. Dies sei eine Diskussionsgrundlage für einen möglichen Deal. Erffa hat am Mittwoch erneut ein Geständnis in Aussicht gestellt.

Ein Beitrag zur Aufklärung allein reiche nicht, sagte der Vorsitzende Richter. Erffa könne aber einiges zu Vorgängen in der Konzernzentrale in Aschheim bei München aussagen, in die Bellenhaus von seinem Dienstort in Dubai aus keine Einsicht gehabt habe. Als Beispiele nannte der Richter Umbuchungen innerhalb des Konzerns, die Zusammenarbeit mit dem Prüfer EY, Gespräche im Vorfeld und die Haltung des Vorstandschefs Braun.

Födisch präzisierte damit frühere Äußerungen und machte zugleich deutlich, dass sich das Gericht und Erffas Anwälte auch in einem zweiten Hintergrundgespräch nicht einig geworden waren. Erffa schweigt bisher in dem Prozess, der im Dezember 2022 begann. Seine Anwälte haben mehrere Vorwürfe zurückgewiesen.

Braun bestreitet alle Vorwürfe

Firmenchef Braun bestreitet kategorisch alle Vorwürfe. Er wünscht auch weierhin kein Rechtsgespräch über eine mögliche Verständigung, wie das Gericht am Mittwoch mitteilte. Anders als seine beiden Mitangeklagten sitzt der Ex-Vorstandschef und einstige Milliardär weiter in Untersuchungshaft - seit bald vier Jahren.

Der seinerzeit im DAX notierte Zahlungsdienstleister Wirecard war 2020 zusammengebrochen, als aufflog, dass auf Treuhandkonten in Asien 1,9 Milliarden Euro fehlten. Es handelt sich um einen der größten Finanzskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Staatsanwaltschaft spricht von Betrug, Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Untreue. Die gesetzliche Höchststrafe liegt bei 15 Jahren.

Die Anklage stützt sich unter anderem auf Angaben des mitangeklagten Kronzeugen Oliver Bellenhaus. Er war Wirecard-Statthalter in Dubai und will auf Anweisung von Vorstandschef Markus Braun und Erffa in großem Stil Umsätze erfunden haben. Es ist bisher das einzige Geständnis. Der Österreicher Braun hat als Hauptangeklagter die Vorwürfe zurückgewiesen. Erffas Verteidiger haben erklärt, ihr Mandant sei unter Umständen zu einem Geständnis bereit. Sie haben aber offen gelassen, ob er sich dazu durchringt und wenn ja in welchem Umfang.