Das „Fairnessbüro“ – eine Ombudsstelle zur Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern im Kampf gegen unlautere Handelspraktiken – hat 2023 deutlich mehr Beschwerden entgegengenommen. Nach 21 Beschwerden im Gründungsjahr 2022 waren es 2023 bereits 235 Meldungen. „Der Handel mit Lebensmitteln ist noch immer ein Kampf mit ungleichen Waffen“, kritisierte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) bei der Präsentation des zweiten Tätigkeitsberichts des Fairnessbüros.

Mehr als 100.000 bäuerliche Produzenten und Verarbeiter seien „einigen wenigen großen Ketten ausgeliefert“. In Österreich wird der Lebensmittelmarkt zu nahezu 90 Prozent von großen Ketten wie Spar, Hofer und Rewe dominiert. „Diese ungleichen Verhandlungspositionen führen zu harten Preisverhandlungen, drohenden Auslistungen oder einseitigen Vertragsänderungen“, monierte Totschnig. Die vielen Versprechungen des Handels, fair mit den Bäuerinnen und Bauern umzugehen, seien bisher „Lippenbekenntnisse“ geblieben. Daher wolle der Landwirtschaftsminister auch beim „Faire-Wettbewerbsbedingungen“-Gesetz nachschärfen – dazu sei er derzeit im Austausch mit dem Wirtschaftsministerium.

Monatlich 20 Beschwerden

„Jeden Monat beschweren sich im Schnitt 20 Lieferanten wegen unfairer Handelspraktiken beim Fairnessbüro“, berichtete Johannes Abentung, Leiter der Ombudsstelle. Ein zentrales Beschwerdethema sei im Vorjahr die zunehmende Problematik der Eigenmarken gewesen. Lieferanten, die ihre Produktneuheiten dem Handel vorstellen, würden von ihren Käufern häufig dazu gedrängt, diese als Eigenmarkenprodukte zu liefern. Lieferanten, die dies nicht akzeptiert hätten, seien mit Auslistung bedroht worden.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig: Beschwerden beim Fairness-Büro haben sich 2023 vervielfacht
Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig: Beschwerden beim Fairness-Büro haben sich 2023 vervielfacht © APA / Rene Hemerka

Der heute vorgestellte, zweite Tätigkeitsbericht der Ombudsstelle habe zudem Fälle von aufgezwungenen Vertragsbedingungen ans Licht gebracht, gestiegenen Preisdruck auf Lieferanten und verbotene Handelspraktiken dokumentiert. Auch der Trend zur vertikalen Integration – bei der Vorstufen der Produktion etwa bei Fleischprodukten, Backwaren oder Wein in die Handelskonzerne eingegliedert werden – sei ein Thema. Die Entwicklung stärke die Marktmacht der Lebensmittelkonzerne und führe letztlich zu geringerer Angebotsvielfalt und erhöhten Preisen für Konsumentinnen und Konsumenten.

Zwei Fälle an BWB gemeldet

Die noch unter der ehemaligen Agrarministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) installierte Ombudsstelle nahm im März 2022 ihre Arbeit auf. Landwirte können sich kostenfrei und anonym an die weisungsfreie Stelle wenden, um sich besser gegen die Marktmacht der Handelskonzerne behaupten zu können. Durchsetzungsbehörde für Beschwerden ist die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). 2023 wurden zwei Fälle an die BWB gemeldet. Die geringe Zahl begründete Abentung mit dem Schutz der Beschwerdeführer, deren Identität in einem solchen Fall offengelegt werden müsse.

Der Handelsverband sieht die Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Handel weitestgehend von Fairness geprägt. Die Zahl der Beschwerden müsse in Relation zu den zehntausenden Lieferantengesprächen gesehen werden, die jeder große Lebensmittelhändler jährlich führe, so Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will in einer Aussendung. Ähnlich argumentierte Christian Prauchner, Obmann des WKÖ-Bundesgremiums Lebensmittelhandel: „Die Zahlen zeigen, wir handeln fair“. Allerdings vermisste Prauchner die Perspektive des Lebensmittelhandels im Bericht der Ombudsstelle. Die derzeit angespannte Wirtschaftslage setzte alle Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette gleichermaßen unter Druck.