In Österreich haben die KV-Verhandlungen oft einen versöhnlichen Abschluss dank der Anwendung der sogenannten Benya-Formel gefunden. Diese sieht eine Entgeltsteigerung um die Inflation der vergangenen zwölf Monate plus einen Teil des gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsanstiegs vor. Doch heuer haben die Metaller-Arbeitgeber dem eine Absage erteilt. „Dabei hat die Industrie eigentlich den Vorteil der Wettbewerbssicherung in der Anwendung“, so Wifo-Experte Benjamin Bittschi.

Darin steckt der Vorteil der Industrie

Der Vorteil wird laut dem Ökonomen daraus gezogen, dass die gesamtwirtschaftliche Produktivitätssteigerung zur Anwendung kommt und nicht jene aus der Industrieproduktion. Denn die Produktivitätssteigerungen in der Herstellung von Waren ist immer höher als in der gesamten Volkswirtschaft, verweist Bittschi auf die dortige Automatisierung, Digitalisierung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz. Im Dienstleistungssektor sei das nicht so einfach. So könne ein besseres Restaurant oder Landgasthaus nicht auf Servicepersonal verzichten. Auch ein Haarschnitt braucht handwerklich seine Zeit.

20 Prozent mehr?

„Wenn man die gesamtwirtschaftliche Produktivität nimmt, sieht man schön, dass die Lohnentwicklung bis Beginn der Teuerungskrise grosso modo der Benya-Formel folgt, nur in den letzten Jahren aufgrund des raschen Inflationsanstiegs nicht mehr“, sagt Bittschi. „Würde man industriespezifische Produktivität nehmen, hätte der hypothetische Lohnzuwachs seit 2013 rund 20 Prozentpunkte höher sein müssen.“

Gewerkschaften schränken sich ein

Bittschi erinnerte, dass die Gewerkschaft die Benya-Formel in ihren Grundsatzprogrammen hat. Er halte es für „riskant, wenn gerade die Industrie sagt, wir wollen diese nicht mehr anwenden. Auch die Gewerkschaft könnte sagen, ‚ok, wir fordern jetzt die Anwendung der industriespezifischen Produktivität zusätzlich zur Inflation‘. Die Gewerkschaften schränken sich da eigentlich in ihrer Lohnforderung ein.“

Benjamin Bittschi, Lohnexperte beim Wifo
Benjamin Bittschi, Lohnexperte beim Wifo © Wifo Müller

Anton Benya, Beiname „der Präsident“, ist eine Art Säulenheiliger des ÖGB. Der „Betriebsrat der Nation“ war nicht nur dort Präsident, sondern auch des Nationalrats für die SPÖ. Er galt als kein Freund von Streiks, so entwickelte er „seine“ Formel, die die jährliche Streikzeit für viele Jahre in Österreich in Sekunden messbar machte.

„Ein Vorteil“ für die Industriearbeitgeber

Auch voriges Jahr war die Anwendung der Benya-Formel „ein Vorteil“ für die Industriearbeitgeber, sagte Bittschi. Damals war die monatliche Inflation zu Verhandlungsbeginn schon deutlich höher als die zur Verhandlung angewandte rollierende Inflation der vorangegangen zwölf Monate. Heuer ist es - allerdings im Lichte der trüben wirtschaftlichen Lage - genau umgekehrt. „Eigentlich müssten die Arbeitgeber jetzt zahlen, was sie letztes Jahr als Vorteil gehabt haben“, sagte Bittschi zur APA. Die Arbeitnehmervertreter seien vor einem Jahr in „Vorleistung“ gegangen, jetzt müssten die Arbeitgebervertreter in „Nachleistung“ gehen, so der Wifo-Experte.

Abwürgen des Aufschwungs droht

Was bisher an Warnstreiks und Streikdrohungen geschah, fällt volkswirtschaftlich noch nicht ins Gewicht, sagte Bittschi. Er verwies hierbei auf die herrschende Rezession, die Auftragslage ist schwach, die Aussichten sind trübe. Damit argumentieren auch die Arbeitgeber, wenn sie heuer die Benya-Formel nicht anwenden wollen. Anders könnte es bei einer seitens der Gewerkschaft angedrohten Eskalation ausschauen.

Immer wieder betont der Fachmann, dass ein Abschluss unter der Inflation den im kommenden Jahr erhofften Aufschwung abwürgen könnte. Denn bei den Aufschwunghoffnungen, spielt der private Konsum eine große Rolle.

Abschluss strecken?

Eine Lösung aus Sicht des Wifo wäre es, wie Bittschi bekräftigte, den Abschluss zu strecken, also über ein Jahr zu gehen, was die Gewerkschaft bisher ablehnt. Freilich müssten bei einer Streckung auch schon Erhöhungen für die Folgejahre vereinbart werden. Das könnte kompliziert werden. Aber: „Grundsätzlich könnte es helfen, die Phase der Rezession zu überbrücken“, sagte der Ökonom.

Auch die Arbeitszeit könnte ein Teil des Kompromisses werden. Man könne zum Beispiel von der 9,6-Prozent hohen rollierenden Inflation über 6 Prozent Inflationsausgleich und den Rest über die Arbeitszeit ausgleichen. Schlussendlich sei ein Abschluss etwas über aber nahe an der rollierenden Inflation möglich, ging aus den Ausführungen von Bittschi hervor.


phs/stf