Taschentücher“, sagt Christian Schumacher, „sind mein wichtigstes Werkzeug.“ Denn im Büro des Schuldenberaters kullern regelmäßig die Tränen. Vorstellig wird bei ihm der Querschnitt der Gesellschaft: „Den typischen Schuldner gibt es nicht“, sagt er. „Zu uns kommen normale Leute – manche wurden krank, andere arbeitslos.“ Was sie eint: Über Geldsorgen zu sprechen, fällt ihnen schwer. „Niemand soll davon wissen – weder Nachbarn noch Freunde.“ Schumacher erzählt von einer Familie, die aus Scham ihren Urlaub im Keller verbracht haben soll. „Ein Großstadtmythos, ja natürlich, aber er sagt viel aus.“
Luxemburg geht es gut, aber ...
Der Ruf des Geldes eilt dem Kleinstaat an der Mosel voraus. Das wirtschaftsstarke Erzherzogtum gilt als europäische Finanzhochburg. Wobei Luxemburg vom europäischen Krisengemisch keineswegs unberührt bleibt. Was Jubelmeldungen anbelangt, zeigt sich das Statistik-Institut „Statec“ zurückhaltend. Der Druck wächst – vor allem im Immobilienmarkt. Auch die Arbeitslosigkeit, vor rund 30 Jahren in Luxemburg quasi ein Fremdwort, ist von 1,7 Prozent im Jahr 1990 auf 4,80 Prozent im vergangenen Jahr angestiegen. Heuer werden rund 5,08 Prozent prognostiziert. Hinzu kommt: Luxemburg ist zwar das Land mit dem höchsten Bruttosozialprodukt pro Kopf – doch deutsche Grenzgänger verfälschen das Ergebnis.
Was sich Jugendliche wünschen
Abfahrt Richtung Kirchberg-Plateau – das Finanzviertel von Luxemburg-Stadt. Dort, wo Gebäude aus Beton und Glas die Märkte dieser Welt verbinden, arbeitet Jessica Thyrion. Sie ist Beraterin für Finanzbildung bei einer Stiftung der ABBL, der Luxemburger Banken- und Bankiersvereinigung. Rund 20 Prozent der Menschen hätten laut ihr ein Problem, wenn morgen eine unerwartete Ausgabe anstehen würde: „Einfach eine neue Waschmaschine – das ist nicht drinnen.“ Thyrion drängt deshalb auf Maßnahmen – Zahlen einer Studie, von ihrer Stiftung in Auftrag gegeben, geben ihr Recht, findet sie. Demnach würden sich rund 88 Prozent der jungen Menschen hierzulande Finanzbildung am Stundenplan wünschen. Übrigens: Auch in Österreich will der Umgang mit Geld gelernt sein. Eine Liste mit Schülerwünschen, erarbeitet vom Sozialunternehmen YEP, wurde Anfang Oktober an Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) übergeben. Darauf führte der Ruf nach mehr Finanzbildung die Hitliste der Jugendlichen an.
In Luxemburg sind Bildungsexpertinnen, wie Grundschulpädagogin Sophie Nilles, solchen Ideen nicht abgeneigt. Im Regelfall lernen Kinder den sicheren Umgang mit Geld zuhause, die Schule käme dieser Aufgabe nur ungenügend nach, sagt sie. Ein heikles Thema: Freilich dürfe man das Beheben aller gesellschaftlichen Schwachstellen nicht nur auf das Bildungssystem abwälzen: „Aber Schule kann ein unterstützender Faktor sein.“ Vorausgesetzt, die Ressourcen stimmen .Die Krux: Ob es Finanzbildung in die Schule schaffe, hänge von der Ambition einzelner Personen ab. „Was schade ist“, meint sie. „Gerade der Umgang mit Geld sollte verankert werden, wie die Weltreligionen oder die vier Jahreszeiten.“
„Viel Raum für schlechte Entscheidungen“
Die radikalsten Auswirkungen der fehlenden Finanzbildung – sowohl für Privatpersonen als auch für die Gesellschaft – kennt Wirtschaftsprofessor Christos Koulovatianos von der Uni Luxemburg. Geringe Kompetenz in Sachen Geld könne einen durchschnittlichen Haushalt jedes Jahr viele Euros kosten, sagt er. Hinzu käme: Die Welt sei komplizierter geworden. Handy, Internet, Globalisierung: „Mittlerweile gibt es viel Raum für schlechte Entscheidungen. “Wichtig sei aber auch: „Finanzbildung helfe der Gesellschaft dabei, bessere politische Entscheidungen zu treffen.“ Denn Unwissenheit gepaart mit Ignoranz, so Christos Koulovatianos, locken im schlimmsten Fall Politiker und Parteien an, die einfache Lösungen versprechen. „Versprechen, die sie niemals einhalten können.“
Mathe, Deutsch, Geld?
Auch wenn Finanzbildung in Luxemburg nicht im Lehrplan verankert ist, gibt es mehrere Projekte der ABBL-Stiftung, die eine ähnliche Stoßrichtung verfolgen. „Woch vun de Suen“ (deutsch: Woche des Geldes) zum Beispiel. Eine Initiative, die Expertise aus der Branche in die Schulen bringt. Doch solche Kampagnen müssen gut koordiniert sein. Schuldenberater Christian Schumacher kennt viele Ansätze. Doch er weiß auch, dass Präventionsprojekte, egal wie ambitioniert sie auch sein mögen, nicht immer ihre Zielgruppen erreichen. „Selbst die beste Webseite über Finanzbildung bringt nichts, wenn die Menschen sie nicht anschauen.“ Der gelernte Luxemburger sei träge – metaphorisch gesprochen. Es bestünde ein gewisser Reichtum, der über Generationen weitergegeben wurde, aber auch schrumpfe. Hinzu käme zu wenig Weitblick.
Ein Mangel, dem zumindest die österreichische Regierung nun entgegentreten möchte. Lehrpläne der Primarstufe und Sekundarstufe I wurden adaptiert. Man wolle fächerübergreifend Anknüpfungspunkte schaffen – etwa im Sachunterricht. Fakt ist aber auch, dass Finanzen in pädagogischen Ausbildungen bislang eine untergeordnete Rolle spielten – das fundierte Wissen fehlt.
Die Rufe nach mehr Finanzbildung werden wohl weiterhin laut bleiben – mit Hinweis auf diverse Schuldenreports. Einen sprunghaften Anstieg der Fallzahlen aufgrund der Inflation verbuche er jedenfalls noch nicht, sagt Christian Schumacher in Luxemburg. Doch die Finanzkrise von 2008 hat ihn eine Sache gelehrt: Individuelle Krisen treten zeitversetzt ein. „Damals haben wir erst 2010 und 2011 die Not gespürt.“ Auch, weil viele nicht einsehen, dass sie sich verkalkuliert haben: „Also versuchen sie, den Gürtel enger zu schnallen – aber alleine schaffen sie es nicht mehr raus.“
Eine Recherche im Rahmen von „eurotours“, einem Projekt des Bundespressedienstes, finanziert aus Bundesmitteln.