Wenn Martin Bartenstein zurück in seine Vergangenheit als Politiker reisen will, muss er nur in den Raum neben seinem Büro gehen. Die schwarzen Lederstühle rund um den Besprechungstisch stammen aus der Originaleinrichtung des Wirtschaftsministeriums zu Zeiten, als der Steirer dort amtierte.
Die Sitzmöbel (privat aus dem Bundesbestand herausgekauft) sind das eine „Souvenir“ aus Wien; ein zweites ist das riesige Ölbild des Malers Herbert Brandl, das wenige Schritte weiter im Foyer des Verwaltungsgebäudes von Bartensteins Unternehmen G. L. Pharma in Lannach hängt. Mit dem 2007 entstandenen Ölgemälde – im Privateigentum Bartensteins – behübschte er die hohen Räume des Ministeriums, da daheim zunächst kein ausreichend großer Platz vorhanden war. Bis 2014 die neue Firmenzentrale eröffnet wurde.
Der mit der Planung des an der Ortseinfahrt von Lannach gelegenen Gebäudes beauftragte Architekt Hermann Eisenköck bekam die Anweisung, eine entsprechend große Wandfläche für das dreieinhalb mal viereinhalb Meter große Bild einzukalkulieren.
"Die mit Abstand größte Investition"
Seither schmückt das von Blau- und Grün-Tönen dominierte Werk Brandls das luftige Entree des kantig-nüchternen, dreigeschoßigen Bürokomplexes. Nicht die einzigen Spuren des weststeirischen Künstlers hier. Auch die Freiluftdecke über dem Eingang ziert ein Brandl – zwar kein Original (das hängt im Raum bei den Ministeriumssesseln), aber zumindest ein handwerkliches Kunstwerk von Salzburger Siebdruck-Spezialisten, die das Motiv auf die Decke reproduzierten. „Ich habe mehrfach gehört: Ihr habt ein wunderschönes Brandlmuseum gebaut“, schmunzelte Architekt Eisenköck im Rahmen der Eröffnung.
Der Architekt ist schon wieder am Planen. Am Nachbargrundstück ist ein massiver Ausbau geplant. „Wir stehen vor der mit Abstand größten Investition hier am Standort in Lannach mit einer Dimension von 50 Millionen Euro“, kündigt Bartenstein an. Der Baustart soll im nächsten Jahr erfolgen. „Ich glaube an den Leitsatz ,Ein Unternehmen, das nicht wächst, schrumpft‘, Wachstum ist essenziell“, beschreibt Bartenstein das betriebswirtschaftliche Motiv hinter dieser Strategie. Er lebt sie intensiv.
In jüngster Vergangenheit wuchs das Portefeuille seiner Unternehmensgruppe nicht nur rasant, sondern auch ungewöhnlich diversifiziert. 2015 stieg der promovierte Chemiker beim angeschlagenen niederösterreichischen Büromöbelhersteller Bene ein, Seite an Seite mit Österreichs wohl bekanntestem Unternehmenssanierer Erhard Grossnigg. „Mir alleine ist das zu groß, machen wir es gemeinsam“, erinnert sich Bartenstein an Grossniggs damaliges Angebot. Die beiden kannten sich von einer schlussendlich geplatzten Investition. Beide waren am Kühlschrank-Kompressorenhersteller ACC mit Sitz in Fürstenfeld interessiert, der mit damals fast 700 Mitarbeitern in die Pleite geschlittert war. Aus einem Einstieg wurde aber nichts. In Bartensteins Fall auch, weil es massive Skepsis von wesentlicher Seite gab: von Ilse Bartenstein.
"Vorliebe für schöne, handfeste Produkte"
„Als Doppelspitze im Unternehmen sprechen wir alle relevanten Entscheidungen miteinander ab“, beschreibt das seit 1983 verheiratete Paar seinen Führungsstil. Die jeweiligen Rollen in diesem Duett sind individuellen Vorlieben geschuldet: „Er ist ein absoluter Zahlenmensch, der das große Ganze sieht“, beschreibt Ilse Bartenstein ihren Mann. „Sie ist für das Kleingedruckte und Ermöglichen zuständig“, sagt Martin Bartenstein. „Wir sind beide – auch wenn man es nicht so sieht – emotionale Menschen“, beschreiben sie sich selbst. „Und haben eine Vorliebe für schöne, handfeste Produkte.“ Zeitgenössische Kunst zum Beispiel. Und Büromöbel.
Wie Bene kam im Zusammenspiel mit Grossnigg zunächst auch Neudoerfler unter das Dach der von beiden Geldgebern gegründeten BGO Holding; später auch noch Mitbewerber Hali sowie die Produktionsanlagen und Markenrechte für Svoboda. „Gestärkt durch diesen Schulterschluss sind wir davon überzeugt, eine Gruppe von europäischem Format zu schaffen“, kommentiert Grossnigg den so entstandenen rot-weiß-roten Büromöbelcluster, für den die Bundeswettbewerbsbehörde erst grünes Licht geben musste. „Das waren vier Unternehmen, die mit dem Rücken zur Wand oder einen Schritt vor der Pleite gestanden sind. Heute sind sie saniert, schuldenfrei, schreiben schwarze Zahlen“, ist Bartenstein hörbar stolz.
"1300 Arbeitsplätze würde es sonst nicht mehr geben"
„Im Übrigen“ – eine Formulierung, mit der Bartenstein manchmal Anekdotenhaftes, meist und gerne aber mit nach hinten geschobenem Kinn und in Falten gelegter Stirn Zahlen aus internationalen Standortstudien zitiert oder Grundsätzliches einleitet – „im Übrigen“ also habe man als Unternehmer ein „hohes Maß an sozialer Verantwortung für die Mitarbeiter“. Nicht selten folgt dann ein Satz, der mit einem akkurat gesetzten, ungeduldig wirkenden „(Al-)So“ beginnt und in eine aus dem Floskelhaften abgeleitete Handlungsaufforderung (an sich selbst) übergeht. „So! Und ohne uns würde es diese 1300 Arbeitsplätze in der Branche nicht mehr geben.“
„So“ hieß es auch vor einigen Monaten, als an Bartenstein die Möglichkeit zum Einstieg beim steirischen Intralogistik-Spezialisten Knapp AG herangetragen wurde. „Eines der interessantesten Unternehmen in Österreich und in einer Branche tätig, die insgesamt wächst, weil Unternehmen in Sachen Logistik alle effizienter werden müssen“, begründet der Industrielle das finanzielle Engagement. Den 30-Prozent-Anteil, den die japanische Daifuku-Gruppe an Knapp AG besaß, übernahm Bartenstein fast zur Gänze (28,4 Prozent, über den Kaufpreis herrscht Stillschweigen). „Wir haben das ausschließlich aus Eigenmitteln finanziert“, betont der Steirer.
Unternehmerischer Coup
Bankenunabhängig mit eigenem Geld zu arbeiten und schuldenfrei zu bleiben, gilt den Bartensteins als Prämisse ihrer Investitionstätigkeit. „Wir möchten das Businessmodell verstehen, wir müssen deswegen nicht wissen, wie man Büromöbel entwirft oder tischlert, wir müssen auch nicht wissen, wie man Intralogistik-Software entwickelt und die Hardware dazu baut, aber das Prinzip des Geschäftsmodells, das wollen wir verstehen“, umreißt das Unternehmerehepaar die Strategie. Angewandt wurde sie nicht nur von Bene bis Knapp, sondern auch bei der Übernahme des PET-Flaschen-Erzeugers Varioform, bei der Beteiligung an zwei vom Genetiker Josef Penninger gegründeten Biotech-Start-ups, beim Aufbau eines Joint Ventures in China oder für das Engagement beim deutschen Diskont-Pharmagroßhändler AEP, an dem auch die Post beteiligt ist und – so schließt sich der Kreis – Knapp-Anlagen zum Einsatz kommen.
Das Erfolgsrezept der (finanziellen) Unabhängigkeit basiert nicht zuletzt auf einem unternehmerischen Coup in den späten 1980er-Jahren. Zusammen mit seinem Jugendfreund Wolfgang Leitner investierte Bartenstein damals mit der 1986 gemeinsam gegründeten Firma Genericon im „noch ziemlich kommunistischen Ungarn“ (Bartenstein) in die Generikafirma Pharmavit. „Wir waren eines der ganz wenigen Start-up-Unternehmen der Branche in einem Emerging Market. Das machte uns als Übernahmekandidat interessant“, erinnerte sich Bartenstein später.
So kam es auch. Ende 1995 erwirbt ein US-Konzern Pharmavit und macht Bartenstein, damals um kolportierte 33 Millionen Dollar reicher und – gerade als Minister angelobt – zum mit Abstand vermögendsten Regierungsmitglied. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vertraute dem vier Jahre davor vom steirischen Landeshauptmann Josef Krainer als Abgeordneter nach Wien entsandten Steirer zunächst das Umweltressort an. Eine für Bartenstein nachhaltige Fügung, traf er in dieser Funktion doch immer wieder mit seiner deutschen Amtskollegin zusammen. Der freundschaftliche Kontakt zu Angela Merkel besteht bis heute.
"Habe Scheitern vieler Quereinsteiger miterlebt"
Die heimische Politik verfolgt der Langzeit- und Mehrfachminister dagegen nur noch aus der Distanz. „Eine ernsthafte Nationalratstätigkeit auf Teilzeitbasis geht heute nicht mehr“, meinte Bartenstein anlässlich seines Ausscheidens aus dem Parlament im Jahr 2013. Nach knapp 14 Jahren in der Regierung (bis 2008) und fünf als Abgeordneter zog er einen Schlussstrich.
„Die Politik war ein interessanter Lebensabschnitt“, blickt er zurück. Er habe seine Fähigkeit, Kompromisse auszuverhandeln, perfektioniert, attestiert ihm seine Frau. Man sei mit vielen „Scheinkompetenzen“ ausgestattet, analysiert Bartenstein selbst und ist froh, das politische Geschäft zunächst als Abgeordneter kennengelernt zu haben: „Ich habe das politische Scheitern vieler Quereinsteiger miterlebt. Ministersein will gelernt sein, es ist nicht gescheit, gleich als Minister zu beginnen.“ „Die letzte Periode als Abgeordneter hätte er sich sparen können“, glaubt Ilse Bartenstein heute. „Mit Werner Faymann hat mich ein Nichtverhältnis verbunden“, macht Martin Bartenstein aus seinen Vorbehalten gegenüber dem ehemaligen Kanzler weiterhin kein Geheimnis.
"Ohne Flugzeug und ohne Jacht"
Bartenstein kehrte in sein Familienunternehmen zurück, in das er nach seinem Studium eingetreten war, dessen Geschäftsführung er 1980 übernommen hatte und in dem während seines Gastspiels in der Politik Ilse Bartenstein alleine auf der Kommandobrücke stand und von dort aus auch die Übernahme von Gerot Pharmazeutika 1997 dirigierte.
Da ist es wieder – Bartensteins unternehmerisches Credo: „Wachstum bedingt Profitabilität und Profitabilität bedingt Wachstum.“ Diesen Zirkelschluss will er nicht als Vereinfachung abtun: „Es sind die entscheidenden Faktoren.“ Auch für ein Familienunternehmen, als das er seine „Bartenstein-Gruppe“ trotz eines für heimische Dimensionen opulenten Gesamtumsatzes von 800 Millionen Euro versteht. Mit Bestandsperspektive: „Wir bleiben ein Familienunternehmen, das auch weiterhin ohne Flugzeug und ohne Jacht auskommt“, sagt Bartenstein, der am gestrigen Sonntag seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. Erstmals als Großvater. Das Enkelkind ist vier Wochen jung.