Eine Schraube ist der Stein des Anstoßes. Sie besteht zu 99,1 Prozent aus Magnesium und zu je 0,45 Prozent aus Zink und Kalzium. Zehn Jahre an Forschung hat die Unfallchirurgin Annelie-Martina Weinberg in ihre Entwicklung investiert. Und nun muss sie zittern, dass nicht ein großer Konzern aus Berlin ihre Arbeit zunichtemacht.
Die Schraube aus Magnesium soll in einigen Jahren die Titanschraube ersetzen, die nach Knochenbrüchen chirurgisch eingesetzt werden. Der Clou: „Unsere Schraube löst sich rückstandslos auf. Ein zweiter Eingriff ist nicht mehr nötig“, erklärt die Forscherin der Med Uni Graz und betont, dass es ihr bei Forschung und Entwicklung vor allem um die Kinder gegangen sei. „Kinder wollen so wenig wie möglich mit dem Krankenhaus zu tun haben.“
Mehrere Jahre Forschung
Der Impuls kam der gebürtigen Konstanzerin in den 1990er Jahren, als sie Oberschenkelfrakturen bei Kindern operierte und sich fragte, wie die Therapie verbessert werden könnte. Mehrere Jahre forschte Weinberg ohne finanzielle Unterstützung. Schließlich gelang es ihr, ein gefördertes Laura Bassi Centre für die Forschung an resorbierbaren Implantaten für Kinder an der Med Uni zu etablieren - das war der Durchbruch. Wichtige Erkenntnis: „Das Implantat behindert das Knochenwachstum nicht, im Gegenteil“, so Weinberg. Den Abschluss der Arbeit des Laura Bassi Centres bildet aktuell die erste klinische Studie in Kooperation mit der Unfallchirurgischen Abteilung der Klinik für Orthopädie und Traumatologie an Erwachsenen. „Es gibt natürlich viele Fälle, wo wir das Implantat auch Erwachsenen einsetzen können.“ 2016 - noch mitten in der Forschung - erfolgte die Gründung des Start-ups BRI.TECH mit Heinz Moitzi von AT&S.
Erstes Ziel: Ende 2019 will man mit den Implantaten für Erwachsene auf dem Markt sein. Der eigentliche Fokus, die Kinder, folgt später, da das Zulassungsverfahren in diesem Fall langwieriger und kostspieliger ist. Doch ehe es so weit ist, droht Ungemach. Der deutsche Medizintechnik-Konzern Biotronik will den Steirern das Patent streitig machen. „Kurz vor Fristende hat Biotronik Einspruch beim EU-Patentamt erhoben“, bestätigt Weinberg. Ende März 2018 soll es zur finalen Verhandlung kommen, denn „an einer außergerichtlichen Einigung zeigt sich Biotronik nicht interessiert“, bedauert Weinberg. „Es geht um juristische Feinheiten. Eine Einigung wäre zielführender und würde alle weiterbringen, insbesondere Kinder, die von der Technologie am meisten profitieren.“
„Unser Fokus liegt auf den Kinder"
Die Gründerin pocht auf Alleinstellungsmerkmale: „Unser Fokus liegt auf den Kindern - andere erwähnen sie nicht einmal. Und wir kommen im Gegensatz zu Mitbewerbern ohne die Beigabe von Metallen der seltenen Erden aus.“ Dass es in diesem Streit um viel Geld geht, zeigen wenige Zahlen: Pro Jahr werden weltweit 170 Millionen Schrauben operativ eingesetzt - bei Erwachsenen wie bei Kindern. In der EU treten 15 Prozent aller Knochenfrakturen bei Kindern auf - davon betroffen sind 1,9 Millionen Minderjährige jedes Jahr. Zwar sind die Magnesium-Implantate teurer (Kosten pro Stück: ab 170 Euro) als Titan (ab 30 Euro), „doch sind die Einsparungen durch den Entfall einer zweiten Operation und den geringeren Stress viel höher“, betont Johannes Eichler, Manager von BRI.TECH.
Derzeit ist das Start-up auf der Suche nach Investoren, um die klinischen Studien finanzieren zu können, die nötig sind, um die Zulassung des Implantats für Kinder und Erwachsene zu bekommen. Geschätzter Finanzbedarf: fünf Millionen Euro. Die Hoffnungen ruhen unter anderem auf dem Austria Wirtschaftsservice (aws) und der steirischen Wirtschaftsförderung (SFG), die BRI.TECH zum Unternehmen des Monats November gekürt hat.