Giosuè Cuccurullo, ein begeisterter Naturschützer und erfahrener Guide, fährt uns mit seinem kleinen, wendigen Elektromobil durch das Naturjuwel. Mit seinen rund 360 Hektar ist das Valgrande etwa so groß wie das Zentrum der Touristenmetropole, von der er nur einen strammen Fußmarsch entfernt ist. Auch der bei Touristen so beliebte Strand von Bibione, angeblich der größte Italiens, ist in Fußweite erreichbar.

Auf dem naturbelassenen Areal ruhen die ganzen Hoffnungen der Touristiker von Bibione. Nachhaltigkeit ist im Tourismus auch bei den Nachbarn Gebot der Stunde. Zwar ist der Adria-Ort bei Badetouristen beliebt, aber für Urlauber, die abseits des Strandes die Natur suchen oder sich für Kultur interessieren, nicht gerade die allererste Adresse.

Natur statt (nur) Strand: Auch die Baderiesen an der Oberen Adria wollen dem Nachhaltigkeitstrend im Tourismus gerecht 
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Natur statt (nur) Strand: Auch die Baderiesen an der Oberen Adria wollen dem Nachhaltigkeitstrend im Tourismus gerecht werden © Kk

Das soll sich nun ändern. Cuccurullo nimmt behände die Kurven auf dem schmalen Waldweg, dann bremst er abrupt. Er zeigt zur „Villa Mutteron dei Fratti“. Diese ziehe nicht nur Archäologen der Unis Regensburg und Padua an, sondern ist in geführten Ausflügen auch Touristen zugänglich. Die historischen Ausgrabungen sollen, so wird vermutet, angeblich die besterhaltene römische Villa an der Adria ans Tageslicht befördern.

Valgrande als Glücksfall

Ein paar Kurven später der nächste Halt. Hier, zwischen Tagliamento und Meer gelegen, finden sich perfekte Bedingungen für ein Vogelreservat. Über Jahrhunderte war Valgrande für die Öffentlichkeit unzugänglich, erzählt Cuccurullo, Adelsfamilien frönten hier ihrer Jagd- und Fischereileidenschaft. Aus heutiger Sicht ein Glücksfall, denn die Gemeinde entschied sich nun, Valgrande zu pachten und ab Herbst der Allgemeinheit zu öffnen.

Giosuè Cuccurullo führt durch das Valgrande
Giosuè Cuccurullo führt durch das Valgrande © US

Nach und nach werden Teile des Naturraums, in Sonnencreme-Riechweite zum rund zehn Kilometer langen und 300 Meter breiten Strand, für die Öffentlichkeit erschlossen. 40.000 bis 50.000 Gäste sollen hier künftig pro Jahr abseits der Sonnenanbeter die Natur genießen. Die Palette der Freizeitaktivitäten sei groß und reiche von Wandern über Radfahren und Reiten bis zu Kajak fahren.

Maurutto Flavio (links) und Andrea Anese
Maurutto Flavio (links) und Andrea Anese © US

Fast sechs Millionen Nächtigungen

Das Naturjuwel ist der Hoffnungsträger Bibiones, es soll dazu beitragen, sport- und naturaffine Gästeschichten anzulocken, die es bisher nicht als Reiseziel entdeckten. Es geht um viel: Immerhin ist Bibione mit seinen fast sechs Millionen Nächtigungen, abgesehen von den Städten Rom, Venedig, Mailand, Florenz und Rimini, der zweitgrößte Tourismusort von ganz Italien. Bemerkenswert dabei ist, dass Tourismusriese Bibione mit seinen 100.000 Gästebetten – 40 Mal mehr als es Einwohner gibt – gar keine eigene Kommune ist, sondern Teil der Gemeinde San Michele al Tagliamento.

Saisonverlängernde Maßnahmen

Deren Bürgermeister Maurutto Flavio sieht in saisonverlängernden Maßnahmen Bibiones eine wesentliche Stoßrichtung für die Zukunft des Badeortes. Denn während die Gästebetten und Campingplätze im Sommer meist voll ausgelastet sind, wird die Infrastruktur zu anderen Jahreszeiten nur mäßig genutzt. 60 Prozent der Gäste kommen aus Deutschland und Österreich, ihnen gilt daher die besondere Aufmerksamkeit. Die Verbindung von Therme und Meer durch Wellnessbereiche direkt am Sandstrand ist ein weiteres Projekt, verfolgt von Thermenchef Denis Masutti.

Ein Blick in das Vogelreservat der Valgrande
Ein Blick in das Vogelreservat der Valgrande © US

Ob das Valgrande tatsächlich das Zeug haben wird, zum „Gamechanger“ zu werden, wird sich noch weisen. Weil Natur im Tourismus meist auch einen materiellen Wert hat, gilt es für einen Besuch in Valgrande Eintritt zu bezahlen (8 Euro Erwachsene, 5 Euro Kinder). Der Eingang ins neu entdeckte Naturjuwel befindet sich übrigens unweit des Restaurants „Havana“, eine Huldigung an den großen Literaten Ernest Hemingway, dem Bibione, wie Lignano, viel zu verdanken hat. Es fand auch – wie passend – in seinem Werk „Über den Fluss und in die Wälder“ Eingang.