Die alten Geschichten kochen jetzt wieder auf. Zum Beispiel, dass der als Hallodri verschriene Enkel einen Polizisten auf dem Gewissen hätte, aber nie eine Strafe absitzen musste. Und dass sein Davonkommen natürlich mit seinem Nachnamen zusammenhänge: Wer Yoovidhya heißt, müsse eben nicht die volle Härte des Gesetzes spüren. Ein Yoovidhya befolge keine allzu müßigen Regeln, er stellt sie höchstens für andere auf.
Seit dem Tod von Dietrich Mateschitz am vergangenen Samstag, der aus der Marke Red Bull einen weltweit führenden Getränke- und Marketingkonzern machte, ist in Thailand ein anderer Name in aller Munde: Yoovidhya. Die thailändische Familie hält 51 Prozent der Anteile und redet nun mehr als ein Wort bei der Frage mit, wer Red Bull künftig auf österreichischer Seite anführen wird.
Die umstrittene Familie Yoovidhya dürfte die zweitreichste des südostasiatischen 70-Millionen-Einwohner-Landes sein, gilt als politisch hervorragend vernetzt und dient Kritikern als eines der schillerndsten Sinnbilder eines korrupten politischen Systems. „Red-Bull-Erbe auch zehn Jahre später noch auf freiem Fuß“ titelte im September etwa die Bangkok Post und fügte hinzu: „Ein verschrotteter Ferrari, ein toter Polizist und ein Multimilliarden-Dollar-Erbe auf der Flucht – ein Jahrzehnt später ist Thailand kein Stück weiter, einen der notorischsten Fluchtfälle zu lösen.“
Der im Text beschriebene Vorayuth Yoovidhya ist der Enkel des 2012 verstorbenen Chaleo Yoovidhya, der den Red-Bull-Vorläufer Krating Daeng erfunden hatte, in den 1980er-Jahren mit Mateschitz Red Bull gründete und einst auch dem thailändischen Senat angehörte. Chaleo Yoovidhyas auf den Spitznamen „Boss“ getaufter Enkel ist einer der berüchtigtsten Promis Thailands, machte immer wieder mit seinem Jetset-Leben und teuren Partys Schlagzeilen. Nach dem Unfall vor zehn Jahren, bei dem sein Sportwagen geschrottet wurde und ein Polizist starb, hätte er vermutlich ins Gefängnis gehen müssen. Jahrelang wich „Boss“ aber Befragungen durch die Polizei aus. 2020 gaben die Behörden ihre Bemühungen auf und stellten die Untersuchungen ein – auch, weil der Gesuchte längst geflohen war.
In Thailand, das seit Jahren immer wieder großen Straßenprotesten ausgesetzt ist, bei denen mehr Demokratie und Gerechtigkeit gefordert werden, sorgte der Fall für große Aufregung. In sozialen Medien verbreitete sich der Hashtag „#boycottredbull“. Die Wirtschaftszeitung Nikkei Asia bezeichnete Red Bulls Entwicklung als „Vom thailändischen Stolz zum Symbol für Ungleichheit“. Eine Umfrage der Firma „Super Poll“ ergab im Jahr 2020, dass 91 Prozent in Thailand der Justiz nicht mehr trauen, 82 Prozent den Fall um „Boss“ als internationale Blamage sehen. Zwar wurden die Ermittlungen gegen den jungen Yoovidhya nach großem Aufschrei wieder aufgenommen, scheinen aber kaum voranzugehen.
Steuer sparen mit Offshore-Konten
Und es ist längst nicht dieser eine Extremfall, der den Menschen sauer aufstößt. Als 2016 die „Panama Papers“ enthüllten, wie Superreiche aus aller Welt Schlupflöcher zur Steuervermeidung nutzen, fand sich auch der Name Yoovidhya in den Dokumenten. Der Clan nutzt demnach seit Jahrzehnten Offshore-Firmen, um Steuern zu sparen und dann Privatjets und Luxusimmobilien zu kaufen, mehrere davon in London.
„Die Familie ist nicht nur in Thailand sehr mächtig, sondern auch weltweit“, kommentierte Pavin Chachavalpongpun, ein Politikprofessor der Universität Kyoto, zuletzt gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Chachavalpongpun weiß, wovon er spricht: Seit Jahren gehört er zu den profiliertesten Kritikern des thailändischen Establishments rund um den König. Deshalb musste er das Land auch in Richtung Japan verlassen.
Die Yoovidhya-Sippe hat zwar nicht annähernd den Status des Königshauses, verfügt aber über viel Einfluss. Mit Geld, so heißt es, lassen sich nicht nur Waren kaufen, sondern auch Narrenfreiheit. Das Wirtschaftsmagazin Forbes schätzt das Vermögen der Yoovidhyas auf 27 Milliarden US-Dollar. Laut einer Studie der Bank Credit Suisse besitzen die reichsten ein Prozent der Menschen in Thailand 50 Prozent des Vermögens. Thailand ist auch deshalb so sozial ungleich, weil sich immer wieder das mit dem König und der Oberschicht verbandelte Militär an die Macht geputscht hat.
Viel Zeit in London
Davon profitieren auch die Yoovidhyas, deren Familienmitglieder neben Thailand auch in London viel Zeit verbringen. Von dort ist es nicht mehr weit nach Fuschl am See, wo die Red Bull GmbH ihren Sitz hat. Und dort dürften dieser Tage heiße Diskussionen über die Nachfolge des verstorbenen Dietrich Mateschitz geführt werden. Dessen 30-jähriger Sohn Mark, der die Red-Bull-Stiftung „Wings for Life“ für die Heilung von Querschnittslähmung mitleitet, gilt als Kandidat. Aber die thailändische Seite lehnt ihn offenbar wegen mangelnder Erfahrung ab.
In Thailand leitet seit Jahren Chalerm Yoovidhya (72) die Geschäfte von Red Bull. Der wie sein langjähriger Partner Dietrich Mateschitz medienscheue Gründersohn ist seit den Panama Papers nicht nur als internationaler Geldverschieber verschrien. Bekannt ist er zudem für seine Weinproduktion mit Siam Winery sowie als Importeur von Ferraris. Damit hat Chalerm Yoovidhya seinem Sohn keinen Gefallen getan, unken die überwiegend jungen Demokratieaktivisten in Thailand.
Als Vorayuth „Boss“ Yoovidhya 2012 mit dem Polizisten zusammenkrachte, hatte sein Ferrari offenbar eine Geschwindigkeit von 170 Stundenkilometern. Der Unfall dürfte eine Sache klargestellt haben: Sollte der dem Vernehmen nach wesentlich vorsichtigere Chalerm Yoovidhya eines Tages seinen Platz im Red-Bull-Vorstand räumen, wird Vorayuth aus seinem Spitznamen kaum eine Jobbeschreibung machen. Nach dessen Unfall distanzierte sich das Unternehmen vom ihm. Alles andere würde in Thailand nur zu weiteren Protesten führen.
Felix Lill