1. Österreich wird auch im kommenden Jahr mehr Geld ausgeben, als einnehmen. Wie entwickelt sich der Schuldenstand?
Die jüngsten Krisen schlagen sich natürlich direkt auf den Staatsschuldenstand durch. Alleine in den vergangenen drei Jahren baute die Republik deswegen so viele Schulden neu auf wie in den zwölf Jahren davor. Damit stieg Österreichs Gesamtverschuldung (Bund, Bundesländer, Gemeinden, Sozialversicherungen) auf satte 350,7 Milliarden Euro. Ein Absinken ist vorerst nicht in Sicht.
2. Ist die Entwicklung problematisch?
"Die vergangenen drei Jahre waren Krisenjahre", sagt dazu Christoph Badelt, Ökonom und als Fiskalrats-Präsident gewissermaßen oberster Schuldenwächter im Staat – "Da ist es naheliegend, dass man Schulden aufbaut. Und das ist per se auch kein Problem". Die "relevantere Größe" als die nominalen Schulden sei laut Badelt "die Schuldenquote". Diese beschreibt das Verhältnis zwischen Staatsschulden und Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt). Aber auch diese Quote steigt. Lag sie 2019 noch bei 70,6 Prozent, wies Österreich für 2022 78,4 Prozent aus. Christoph Badelt: "Wir haben die Vorbildfunktion aufgegeben, liegen im Europa-Vergleich mit unserer Verschuldung aber noch immer sehr gut."
3. Wie kommt die Republik an frisches Geld?
Dazu gibt es verschiedene Instrumente. Das mit Abstand wichtigste: die Ausgabe von Bundesanleihen durch die OeBFA (Österreichische Bundesfinanzierungsagentur). Die OeBFA verwaltet das Finanzschuldenportfolio des Bundes, das wiederum sind mehr als 90 Prozent der gesamten Schulden des Bundessektors. Österreichs Anleihen gelten als ausfallsicher. Deswegen sind sie bei konservativeren Investoren gefragt. Dazu aber später mehr. Der kurzfristige Finanzierungsbedarf (Laufzeit unter einem Jahr) wird über die Begebung sogenannter "Austrian Treasury Bills (ATBs)" oder "Austrian Commercial Papers (ACPs)" abgedeckt.
4. Welche Voraussetzungen braucht es, um neue Schulden aufzunehmen?
Primär braucht es das Parlament. Dieses beschließt nämlich das Bundesfinanzgesetz und genehmigt damit die Neuverschuldung des Bundes im jeweiligen Jahr. Weiters beschließt das Parlament auch das Bundeshaushaltsgesetz und das Bundesfinanzrahmengesetz.
5. Von wem leiht sich Österreich Geld?
Als größte Investoren treten Fondsgesellschaften (36 Prozent), Banken (34 Prozent), Notenbanken (17 Prozent), Versicherungen und Pensionskassen (8 Prozent) sowie Privatinvestoren (4 Prozent) auf.
6. Und woher stammen diese Investoren?
Der absolute größte Teil (89 Prozent) kommt aus Europa, davon der Großteil aus Deutschland, den Niederlanden und Frankreich. 7 Prozent der Investoren haben ihren Sitz in Amerika, 3 Prozent in Asien, 1 Prozent in Nahost.
7. Wie viel Geld zahlt Österreich für Zinsen?
Der effektive Zinsaufwand des Bundes belief sich im Jahr 2022 auf 3,2 Milliarden Euro und erreichte damit sowohl auf absoluter Basis als auch in Relation zum BIP (0,72 Prozent) einen historischen Tiefststand. Ein spannender Vergleich: 1993, also vor 30 Jahren, zahlte Österreich für Zinsen rund 6 Milliarden Euro (damals freilich noch in Schilling). Das waren 3,5 Prozent des BIP. Durch die Leitzins-Anhebungen der Europäischen Zentralbank ist einiges in Bewegung gekommen. Dennoch zeigt man sich bei der OeBFA zuversichtlich. Die Zinsausgaben in Prozent des BIP sollen in den kommenden Jahren laut OeBFA-Chef Markus Stix "deutlich unter dem historischen Durchschnitt liegen", auch 2023 wird der Wert wohl unter einem Prozent bleiben. Zu tun hat das mit der langen Restlaufzeit des Schuldenportfolios. Dieses liegt mit 31. August bei 11,5 Jahren. 2017 und 2020 begab die Republik gar zwei 100-jährige Anleihen, letztere mit 0,85 Prozent jährliche Verzinsung.
8. Gibt es viele variabel verzinste Positionen?
Österreich hat zurzeit nicht nur die längste Restlaufzeit des Schuldenportfolios innerhalb der EU, sondern auch einen hohen Fixzinsanteil. Man verfolge eine "konservative Schuldenmanagementstrategie", sagt OeBFA-Chef Stix. Mehr als 90 Prozent des Finanzschuldportfolios sind fix verzinst. Die Effektivverzinsung des Portfolios liegt mit 31. August 2023 bei jährlich 1,59 Prozent. Im Vorjahr waren es allerdings noch 1,2 Prozent. Was zeigt: Die höheren Marktzinsen belasten auch die Republik zunehmend, zurzeit fallen für neu ausgegebene 10-Jahres-Anleihen knapp drei Prozent Zinsen an. Durch die langen Restlaufzeiten der bereits ausstehenden Bundesanleihen wird der Anstieg aber deutlich gedämpft.
9. Ist es denkbar, dass Österreich je schuldenfrei ist?
"Das ist nicht sehr wahrscheinlich", antwortet Christoph Badelt. Tatsächlich hätte ein radikaler Schuldenabbau gravierende Auswirkungen auf das Sozial- und Steuersystem. Zugleich gilt es, ein genaues Auge auf die Dosierung zu legen. Essenziell ist nämlich, dass auch bei künftigen Krisen noch fiskalischer Spielraum vorhanden ist, um gegenzusteuern.