Im Vorjahr sagten Sie, Longines steuert auf ein „historisches Rekordjahr 2023“ zu. Ist dem noch immer so?
Matthias Breschan: Wir sind sehr gut unterwegs und nach acht Monaten beim Umsatz auf einem zweistelligen Wachstumskurs. Obwohl uns im Moment der Wechselkurs riesige Probleme bereitet. Das sind dutzende Millionen, die uns alleine in den ersten Monaten fehlen.
Weil der Franken so stark ist…
… Ja. In fast allen Ländern haben sich die Währungen gegenüber dem Franken verschlechtert. Wir produzieren aber fast alles in der Schweiz. Wir sind total vertikalisiert, haben da fast mehr als 100 Produktionsfirmen. Schalen, Zifferblatt, Zeiger – das kommt alles aus der Schweiz. Wir sind deutlich über den Anforderungen, die für ein „Swiss Made“ erreicht werden müssen.
Dämmt die hohe Inflation und eine damit verbundene Konsumzurückhaltung die Nachfrage nach Ihren Uhren überhaupt nicht?
Nein. Was wir allerdings deutlich sehen, ist ein Trend hin zu „Quiet Luxury“. Davon profitieren wir. Von einer eleganten Bescheidenheit, die man dennoch zeigen will. Die Uhr ist ein äußerst emotionales Accessoire. Kein Mensch kauft heute eine Uhr, um dort nur Zeit abzulesen. Man will etwas über seine Persönlichkeit oder Affinitäten auszudrücken. Übrigens zählt eine mechanische Uhr wahrscheinlich auch zu den nachhaltigsten Konsumgütern. Kein Mensch kauft eine solche und schmeißt sie nach sechs oder zwölf Monaten weg. . .
. . . wie lange behalten Longines-Käufer ihre Uhren?
Wenn der Kunde eine Uhr kauft, kauft er sie für sein Leben. In den meisten Fällen wird die Uhr sogar älter als der Käufer.
Wir stark hoben Sie die Preise an?
Wir haben in einigen Ländern die Preise inflationsbedingt angepasst. Aber wir sind sehr, sehr vorsichtig, was Preissteigerungen betrifft. In vielen Fällen geht’s ja auf den Rohstoffmärkten schnell wieder in die andere Richtung – wir aber senken die Preise nie. Jetzt passiert eine Anpassung, keine Repositionierung der Marke. Longines ist seit Ewigkeiten im Preisbereich zwischen 1000 und 5000 Euro. Und es hat keinen Sinn, hinunterzugehen. Da ist Tissot. Und über Longines ist Omega. In der Swatch Group herrscht große Preisdisziplin.
Offline oder Online? Wo verkauft Longines eigentlich die Uhren?
Das hat sich in der Covid-Zeit stark verändert. Ich fing am 1. Juli 2020 bei Longines an. Damals setzten wir in sechs Ländern auf Online-Handel. Mitte 2022 haben wir dann schon selbst in allen 33 Ländern Online-Handel betrieben, in denen Longines eine Niederlassung betreibt. Der Online-Umsatz bewegt sich mittlerweile, je nach Land, zwischen fünf und zehn Prozent.
Wollen Sie den digitalen Weg forcieren?
Ich bin von einer intelligenten Kombination aus On- und Offline überzeugt. Online hat den Riesenvorteil: Whenever, wherever. Sie können eine Vorauswahl machen. Und dann sagen Sie, welchen Verkaufsstandort sie wann besuchen wollen. Dort werden Sie freundlichst empfangen und man wird Ihnen die vorausgewählten Uhren präsentieren. Jemand begeistert sich für eine Uhr online – und kauft sie offline.
Aus der Coronakrise ging Longines nach anfänglichen Problemen gestärkt heraus. Wie kam’s dazu?
Die Krise war für uns ein Weckruf. Longines hatte sich über Jahren auf dem Riesenerfolg in Asien und den großen Verkäufen an asiatische Touristen in den USA oder Europa ausgeruht. Das war ein Fehler. Die Sortimente waren zu sehr auf Touristen und zu wenig auf lokale Kundschaft ausgelegt. Plötzlich waren aber die Touristen weg. Das zeigte uns: Der lokale Kunde muss immer Priorität haben. Bedingt durch die Covid-Situation beschleunigten wir dann viele Sachen. Wir haben das Produkt bereinigt, die Kollektion von 1500 auf 700, 800 Referenzen reduziert, um unseren Uhren-Familien ein deutlicheres Gesicht zu geben.
Sie sagten einmal, dass Uhren immer stärker unisex und auch altersunabhängig werden. Gibt’s den typischen Longines-Käufer gar nicht mehr?
Wir verkaufen heute 50 Prozent unserer Uhren an Damen und 50 Prozent an Herren. Das unterscheidet uns deutlich vom Mitbewerb. In der Uhrenindustrie ist es häufig 80 zu 20 – in die eine, oder in die andere Richtung. Die klassische Segmentierung von Zielgruppen, etwa nach Altersgruppen, greift heute jedenfalls nicht mehr. Es geht mehr um Einstellung und weniger um Alter. Zurzeit beobachten wir etwa, dass Herren durch den Vintage-Trend zu kleineren Uhren tendieren. Den Ausdruck „Damenuhr“ und „Herrenuhr“ verwenden wir nur mehr aus Google-Gründen. Die meistverwendeten Suchbegriffe weltweit, wenn es um Uhren geht, sind „men watches“ und „women watches“.
Wo findet bei der mechanischen Uhr heute eigentlich noch Innovation statt?
Wir verkaufen von der Stückzahl her 80 Prozent mechanische Uhren. Da darf man Innovation nie aus den Augen verlieren. Stoppt man sie, zerstört man eine Marke. Wir haben beispielsweise in unseren neuen mechanischen Werken Siliziumspiralen. Und wir haben auch antimagnetische Komponenten, die die Uhren magnetresistent machen. In den vergangenen Jahren hatten deutlich mehr als die Hälfte der aufgetretenen Probleme bei mechanischen Uhren mit Magnetismus zu tun. Jetzt ist dieses Problem praktisch inexistent.
Wie blicken Sie eigentlich auf den Wirtschaftsstandort Österreich?
Ich hab oft den Eindruck, sobald es Krisenzeichen gibt, wird zu schnell zu viel schlechtgeredet. Es gibt immer Möglichkeiten, Nischen zu finden. Sich durch Innovation abzusetzen und neue Märkte zu erschließen. Egal ob das eine geografische Expansion ist oder eine vertiefte Ausbreitung in bereits bestehenden Ländern. Wichtig ist, dass man in Ländern wie Österreich oder der Schweiz, einen industriellen Standort behält.