Mit ihrer Klage gegen den Online-Händler Amazon wegen angeblicher Wettbewerbsverstöße testet die FTC Experten zufolge die Grenzen des US-Rechts aus. Für eine Verurteilung müsse die US-Kartellbehörde zahlreiche Hürden überwinden. Es werde schwierig zu beweisen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher in einer Welt ohne die aktuellen Geschäftspraktiken von Amazon bessergestellt wären.
Der Kartellrechtler David Balto, ein ehemaliger FTC-Direktor, verglich die Aufgabe der Behörde am Mittwoch mit der Besteigung des Mount Rainier im US-Bundesstaat Washington mit Tennisschuhen. "Es ist zwar denkbar, dass man es bis zum Gipfel schafft, der ist aber in über 6000 Metern Höhe und auf dem Weg dorthin wird es sehr kalt."
"Straf- und Zwangstaktiken"
US-Richter zögerten in der Regel, Niedrigpreise mithilfe des Kartellrechts zu bestrafen, erläuterte Sean Sullivan von der juristischen Fakultät der University of Iowa. "Die Grenze zwischen 'guten Niedrigpreisen' – die auf Wettbewerb beruhen – und 'schlechten Niedrigpreisen', die einem Unternehmen helfen, Marktmacht zu erlangen oder zu erhalten, ist nicht immer klar."
Die Chefanklägerin
Die FTC wirft Amazon vor, auf seiner Plattform eigene Produkte unrechtmäßig zu bevorzugen. Außerdem verbiete der Konzern Dritthändlern, ihre Produkte über andere Vertriebskanäle billiger anzubieten. Dies seien "Straf- und Zwangstaktiken", um ein Monopol aufrechtzuerhalten. Das Gericht solle dem einen Riegel vorschieben, wozu auch der Verkauf von Geschäftsbereichen zählen könnte. Der Konzern behauptet dagegen, dass die kritisierten Praktiken Wettbewerb und Innovation förderten. Die FTC-Beschwerde täusche vor, dass "der alltägliche Wettbewerb im Einzelhandel nicht existiert", argumentierte Amazon-Anwalt David Zapolsky.
Weiterer juristischer Ärger
Dieses, voraussichtlich richtungsweisende Verfahren, ist aber nicht der einzige juristische Ärger, den das von Jeff Bezos gegründete Unternehmen hat. Diese Prozesse könnten Amazon Milliarden an Schadenersatzzahlungen kosten. Nachfolgend eine Übersicht der Verfahren:
- Wettbewerbsklauseln. Die Generalstaatsanwälte Kaliforniens und der US-Hauptstadt Washington D.C. klagen jeweils gegen die Preispolitik von Amazon. Der Konzern verbiete es Verkäufern, auf ihren eigenen Internet-Seiten oder den von Rivalen wie Walmart, Costco oder Target niedrigere Preise anzubieten als bei Amazon. In Washington wies das Gericht die Klage im vergangenen Jahr zurück. Die Staatsanwaltschaft habe nicht widerlegen können, dass Amazons Preise "das Resultat eines gesetzeskonformen, nicht choreografierten Verhaltens des freien Marktes" seien. Die Berufung gegen dieses Urteil läuft. Ein Richter in Kalifornien wies dagegen den Antrag Amazons auf eine Abweisung der Klage zurück. Die Staatsanwaltschaft habe hinreichend belegt, dass Amazons Politik "die wettbewerbswidrige Wirkung hatte, Preise auf konkurrierenden Einzelhandelsmarktplätzen sowie auf den eigenen Websites von Drittanbietern zu erhöhen".
- Angebliche Preistreiberei. Vor einem Bundesgericht in Seattle muss sich Amazon unter anderem gegen den Vorwurf wehren, Preise auf seiner Plattform künstlich in die Höhe zu treiben. In einer weiteren Klage heißt es, Amazons Politik führe zu höheren Preisen bei der Konkurrenz. Die Richter ließen beide Klagen zu. Amazon bestreitet die Vorwürfe. Dem Konzern droht eine Sammelklage wegen angeblicher Preistreiberei, in der die dadurch verursachten Schäden auf 55 bis 172 Mrd. Dollar taxiert werden.
- Logistik-Zentren. Ebenfalls in Seattle ist seit 2021 ein Verfahren anhängig, weil Amazon versucht haben soll, konkurrierende Logistik-Dienstleister zu behindern. Dadurch seien Versandkosten gestiegen. Ein Gericht wies diese Klage aus formalen Gründen ab, wogegen die Verbraucher, die den Prozess angestrengt hatten, Anfechtungsklage eingereicht haben.
- E-Books. Einer in New York eingereichten Sammelklage zufolge soll Amazon den Preis für E-Books künstlich in die Höhe getrieben haben. Der Konzern habe die Verlage unrechtmäßig daran gehindert, ihre E-Books auf anderen Websites, einschließlich ihrer eigenen, zu niedrigeren Preisen anzubieten. Eine Bezirksrichterin empfahl im Juli, das Verfahren gegen Amazon, nicht aber gegen die ebenfalls beklagten Verlagshäuser zuzulassen. Derzeit berät das Gericht über diverse Einsprüche gegen die Empfehlung.