Was die Ausgangslage für die Verhandlungen betrifft, gibt sich heuer keine der beiden Seiten wie immer gearteten Illusionen hin. Dass vor dem Start der Herbstlohnrunde jeweils ganz besonders harte Verhandlungen prognostiziert werden, gehört freilich ebenfalls zum rituell-formelhaften Wesen in der KV-Arena wie das ganz spezielle Lohnrunden-Vokabular. Der "heiße Herbst" hat da ebenso seinen Fixplatz wie das "Säbelrasseln".
Dennoch kommt den herbstlichen Kollektivvertragsverhandlungen in diesem Jahr – auch im langjährigen Vergleich – wohl eine Sonderrolle zu. Die Inflation ist hoch, das Wachstum mickrig bis nicht mehr vorhanden. Der Ausblick ist vielen Branchen düster, die Verunsicherung groß – bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wie auch bei den Betrieben.
Wenn die Gewerkschaft am heutigen Montag ab 11 Uhr in der Wirtschaftskammer in Wien ihre Forderungen an die Arbeitgebervertreter des – mit gut 137.000 Beschäftigten – größten Metallerverbandes, der Metalltechnischen Industrie (FMTI), übergibt, wird die Herbstlohnrunde gewissermaßen offiziell eingeläutet.
Forderung wird zweistellig ausfallen
Die vergangenen Wochen waren bereits von teils heftig-deftigen gegenseitigen Verbal-Gefechten geprägt. Auch das ein Ritual, wenngleich sich die atmosphärischen Störungen heuer bereits vor Beginn der Verhandlungen rasant hochgeschaukelt haben. Die durchschnittliche Inflation der vergangenen zwölf Monate gilt gemeinhin als Ausgangspunkt für das Feilschen um Lohn- und Gehaltsverhandlungen. Sie liegt für die Metaller bei 9,6 Prozent. Einen Abschluss darunter haben die Gewerkschaften wiederholt ausgeschlossen. Auch von Einmalzahlungen oder längerfristigen Abschlüssen will man nichts wissen.
Reinhold Binder, der heuer erstmals die Verhandlungen als Chef der Produktionsgewerkschaft führt, hat sich bereits festgelegt, dass die Forderung an die Arbeitgeber jedenfalls zweistellig ausfallen werde.
FMTI-Obmann Christian Knill "konterte" mehrmals mit den gegenwärtigen Konjunkturdaten, die für die Industrie schon seit Längerem eine Rezession anzeigen. Die Aufträge und der Produktionswert seien eingebrochen. Zudem, so die Arbeitgeber, könne man ja nur das verteilen, was man auch erwirtschafte, er sehe hier wenig Spielraum, so Knill. So rechne fast jedes dritte Unternehmen der Branche mit negativen Ergebnissen. "Unsere Aufgabe ist nicht, die Kaufkraft in Österreich zu gewährleisten", so Knill.
"Sie sind ja nicht nur Gegenspieler ..."
Der Ökonom Michael Steiner unterschreibt Zuschreibungen wie "heikel oder besonders schwierig". Er sieht die Sozialpartner in einem "Dilemma", betont aber auch: "Sie sind ja nicht nur Gegenspieler und tragen gemeinsam Verantwortung." Aus seiner Sicht sei aber evident, dass die klaren und einfachen Vorgaben und Regeln für die Lohnverhandlungen, abgebildet in der Benya-Formel, "so leider nicht mehr stimmen". Hat sich die nach dem legendären früheren Gewerkschaftspräsidenten Anton Benya (1912–2001) benannte Faustregel, wonach sich die Lohnerhöhung aus Inflationsabgeltung plus Produktivitätszuwachs errechnet, überholt? Es gelte zumindest, auch andere Dimensionen zu beachten. Die Teuerungsursachen seien nicht zuletzt aufgrund des hohen Anteils der importierten Inflation (u. a. Energiepreise) vielschichtiger. "Auch die Betriebe geraten durch die Inflation in Bedrängnis und können die Mehrkosten gerade in der wettbewerbsintensiven Industrie nicht einfach an Kunden überwälzen", so Steiner.
"Gefährdet auch die Beschäftigungsfähigkeit"
Der Anstieg der Produktivität sei in Österreich zuletzt eher niedrig gewesen, "die Lohnstückkosten sind hierzulande deutlicher gestiegen als in vergleichbaren Ländern". Daraus ergebe sich die Frage der Konkurrenzfähigkeit. "Wenn die Löhne zu stark steigen, gefährdet das die internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit auch die Beschäftigungsfähigkeit der österreichischen Industrie – das trifft dann also auch die Arbeitnehmerseite", so Steiner. Das sei auch der Gewerkschaft bewusst, so seine Überzeugung.
Dennoch rechne er insbesondere zum Auftakt der Lohnrunde mit "durchaus harten Positionskämpfen". Die Verhandlungen basieren auf Daten aus der Vergangenheit, also vor allem der rollierenden Inflation der letzten zwölf Monate, "die Einigung wirkt dann aber in der Zukunft und da muss man vor dem Hintergrund der, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade rosigen Industriekonjunktur schon sehr aufpassen", betont Steiner.