EZB-Chefvolkswirt Philip Lane rechnet nicht mit einem herben Absturz der Wirtschaft im Euroraum. Das Bankensystem sei in einer guten Verfassung, zudem schauten wegen der Pandemie die Bilanzen der Haushalte besser aus als im Normalfall und gleiches gelte für die Unternehmen, sagte der oberste Volkswirt der Europäischen Zentralbank am Freitag zu "Yahoo Finance". "Die Art von giftiger Mischung, die nötig ist, um eine schwere Rezession auszulösen, ist nicht präsent."
Die geldpolitische Straffung, die notwendig sei, um die Inflation zu beseitigen, geschehe daher in einem Kontext, der nicht von Anfälligkeiten gekennzeichnet sei wie vor 15 Jahren. Damals hatte die Finanzkrise die Weltwirtschaft in heftige Turbulenzen gestürzt.
"Trotz allem widerstandsfähig"
Zwar schwäche die Straffung der Geldpolitik die Wirtschaft. Aber es werde eine Wirtschaft gebremst die Schwung habe, die widerstandsfähig sei, so Lane. "Und wir erwarten, dass wir eine Belebung nächstes Jahr und das Jahr darauf sehen werden."
Die EZB hat im Kampf gegen die Inflation die Zinsen bereits zehn Mal in Serie angehoben - zuletzt am Donnerstag vergangener Woche um einen viertel Prozentpunkt. Der am Finanzmarkt richtungsweisende Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, liegt inzwischen bei 4,00 Prozent. Das ist das höchste Niveau seit dem Start der Währungsunion 1999.
Lane hatte am Donnerstagabend in einer Rede in New York gesagt, dass modellbasierte Simulationen der Notenbank es nahelegten, dass die EZB bei den Zinsen inzwischen genug getan habe. Ein Einlagensatz von 4,00 Prozent, solange er hinreichend lang beibehalten werde, stimme damit überein, dass die Inflation zur EZB-Zielmarke von zwei Prozent zurückkehre. Am Finanzmarkt wird derzeit keine weitere Zinsanhebung mehr erwartet. Für den Frühsommer 2024 wird bereits auf erste Zinssenkungen der EZB spekuliert. Mehrere Währungshüter hatten allerdings am Donnerstag gewarnt, es sei zu früh, eine weitere Zinserhöhung auszuschließen.