In den USA bestreikt die größte Autogewerkschaft UAW erstmals in ihrer Geschichte zeitgleich die "Big Three" GM, Ford und die Stellantis-Marke Chrysler. Zwar waren am Freitag zunächst nur drei Werke mit 12.700 Beschäftigten betroffen. Die Gewerkschaft warnte aber, sollte es in den KV-Verhandlungen keine Einigung geben, könnte sich der Arbeitskampf zu einem der größten seit Jahrzehnten ausweiten: "Wenn wir aufs Ganze gehen müssen, werden wir das tun", so UAW-Chef Shawn Fain.
Als Motiv für die Mobilisierung der Bandarbeiter sehen Autoexperten auch den Wechsel in die Elektromobilität, durch den Arbeitsplätze wegfallen. Durch den Arbeitskampf geraten die Konzerne inmitten der Umstellung erheblich unter Druck. Denn je länger ihre Bänder stillstehen, desto stärker könnten Konkurrenten wie Tesla, Toyota, Honda und Mercedes davon profitieren, deren Werke nicht gewerkschaftlich organisiert sind.
Kosten? 500 Millionen Dollar pro Woche
Die Streiks sind der vorläufige Höhepunkt des Streits zwischen Fain und den Führungskräften der drei in Detroit ansässigen Autobauer. Dabei werden diese erstmals zeitgleich bestreikt, während früher oft mit nur einem Konzern verhandelt wurde und die anderen dann im besten Fall nachzogen. Ein kompletter Streik könnte jeden der drei Autobauer bis zu 500 Mio. Dollar (466 Mio. Euro) Gewinn kosten - pro Woche. Der bisherige Kollektivvertrag war in der Nacht zum Freitag ausgelaufen. Die Streiks werden zunächst die Produktion des Ford Bronco, des Jeep Wrangler und des Chevrolet Colorado sowie anderer beliebter und gewinnträchtiger Modelle zum Stillstand bringen.
US-Präsident Joe Biden nahm am Abend zum Streik Stellung: "Niemand will einen Streik, aber ich respektiere das Recht der Arbeitnehmer, ihre Optionen im Rahmen des Tarifverhandlungssystems zu nutzen", sagte Biden am Freitag vor Journalisten in Washington. "Ich verstehe den Frust der Arbeiter." Sie sollten an den Rekordgewinnen der Unternehmen beteiligt werden, so Biden.
Arbeitsplatzsicherheit beim E-Umstieg
Im aktuellen Konflikt will die UAW für ihre Mitglieder einen größeren Anteil an den Gewinnen aus dem Geschäft mit Verbrenner-Fahrzeugen und mehr Arbeitsplatzsicherheit im Zuge der Umstellung auf E-Autos herausschlagen. "Die Gewerkschaft sieht sicherlich auch die Gefahr der Transformation beziehungsweise Disruption der Autoindustrie durch die Elektromobilität für die Arbeitsplätze", sagte der Autoexperte Frank Schwope. "Gerade die alteingesessenen amerikanischen Automobil-Konzerne schreiben mit ihren Elektroautos noch deutliche Verluste und werden ihre Strukturen perspektivisch anpassen müssen." Allerdings wandle sich der amerikanische Automarkt deutlich langsamer als der europäische und auch als der chinesische.
Beim Geld haben die Hersteller ihre Angebote zwar nachgebessert und bieten nun bei einer Laufzeit von viereinhalb Jahren zwischen 17,5 und 20 Prozent mehr. Das ist aber nur rund die Hälfte dessen, was die UAW fordert. Zudem will die Gewerkschaft die gestaffelten Lohnsysteme abschaffen, bei denen neu eingestellte Arbeitnehmer erst nach acht Jahren auf das gleiche Gehaltsniveau wie altgediente kommen. Die UAW vertritt in dem Streik fast 150.000 Mitarbeiter - 57.000 bei Ford, 46.000 bei GM und 43.000 bei der Marke Chrysler, die zum europäischen Stellantis-Konzern gehört.
Der Bibel-Gewerkschafter
Fain erklärte, die UAW werde vorerst auf kostspieligere, unternehmensweite Streiks verzichten, halte sich aber alle Optionen offen. Der 54-Jährige, der oft aus der Bibel zitiert und sich bei der Wahl zum UAW-Chef nur knapp durchsetzen konnte, hat den Tarifstreit als Kampf um die Neuordnung der Kräfte zwischen Arbeitnehmern und globalen Unternehmen bezeichnet: "Wir kämpfen für das Wohl der gesamten Arbeiterklasse und der Armen".
Allerdings muss auch die Gewerkschaft Augenmaß bewahren. Ihr Fonds, aus denen sie das Streikgeld für die Mitglieder bezahlt, ist mit 825 Mio. Dollar eher begrenzt. "Die UAW muss aufpassen, dass sie es nicht übertreibt", schrieb Analyst Garrett Nelson von CFRA Research. "Die Bilanzen der Detroit Three strotzen nur so vor Bargeld, und sie können die Sache wahrscheinlich länger aussitzen als die Arbeiter."
Forderungen sollen 100 Milliarden kosten
GM zeigte sich enttäuscht über die Streiks und kündigte an, die Verhandlungen fortzusetzen. Ein ranghoher GM-Manager hatte im Vorfeld gesagt, die UAW-Forderungen würden GM 100 Mrd. Dollar kosten. Das sei mehr als das Doppelte des Börsenwerts des Konzerns und könne unmöglich kompensiert werden. Bei Ford hieß es, die jüngsten Vorschläge der UAW würden die Arbeitskosten in den USA verdoppeln und Ford wäre gegenüber Tesla und anderen nicht gewerkschaftlich organisierten Herstellern nicht mehr konkurrenzfähig. Stellantis teilte mit, das Unternehmen sei in einen "Notfallmodus" versetzt worden. Man werde alles tun, um den Konzern und seine Betriebe in Nordamerika zu schützen. Was das bedeutet, ließ Stellantis offen.
Der seit Monaten schwelende Streit ist längst auch Thema in der Politik. US-Präsident Joe Biden, der sich im nächsten Jahr zur Wiederwahl stellt, hat beide Seiten zu einer Einigung aufgerufen und nach Angaben seines Büros mit der UAW sowie dem Management der Hersteller gesprochen. Laut "Washington Post" bereitet die US-Regierung Nothilfen vor, um kleineren Zulieferern unter die Arme zu greifen, sollten sie unter den Streiks leiden.