Der ÖGB veranstaltet eine Aktionswoche gegen die Teuerung – dass die Teuerung eine große Belastung darstellt, weiß wohl jeder.
WOLFGANG KATZIAN: Seit Jänner 2021 wurde Wohnen um 28 Prozent teurer, Lebensmittel um 27 Prozent – das sind gewaltige Steigerungen. Die von uns verlangten inflationsdämpfenden Maßnahmen sind nicht gekommen – das ist mit ein Grund, dass die Inflation so hoch ist.
Sie beklagen die Untätigkeit der Regierung – tatsächlich gab es ja milliardenschwere Pakete zur Abfederung.
Was es gegeben hat, waren Einmalzahlungen, die haben einen Nachteil: das Wort einmal. Und die kalte Progression ist das Steuergeld, das die Menschen schon gezahlt haben. Zu sagen, wir haben eh schon so viel gegeben, das ist nicht einmal ein schlechter Scherz, sondern ein Häkerl.
Für Experten ist das vom ÖGB geforderte Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel eine sehr teure und wenig hilfreiche Maßnahme.
Natürlich muss man kontrollieren, dass diese Senkung weitergegeben wird. Mir gehen die am Hammer, die Obergescheiten, die dauernd jammern, was alles schlecht ist an unseren Vorschlägen – und dann passiert genau gar nichts. Wenn nicht eingegriffen wird, bleibt die Inflation hoch – derzeit 7,5 Prozent. Und wenn dann irgendjemand glaubt, Lohnverzicht wäre ein besserer Vorschlag, dann werden wir ihn in die Wüste schicken.
PRO-GE-Chef Reinhold Binder warnte vor "Lohnraub", sollten Kollektivverträge auf 18 oder 24 Monate abgeschlossen werden. Teilen Sie diese harte Wortwahl?
So wie es einige kommuniziert haben, "wir machen jetzt einen Prozentsatz aus für zwei Jahre und dann haltet's die Pappn", so kann es nicht sein. Wir hatten schon Abschlüsse über zwei Jahre – da gibt's was sofort und was in einem Jahr auf die rollierende Inflation obendrauf. Darüber wird immer wieder in einzelnen Branchen diskutiert. Aber es gibt niemals einen Abschluss, weder auf ein noch auf zwei Jahre, wo wir die rollierende Inflation außer Kraft setzen.
Der Begriff "Lohnraub" passt?
Ja – dann, wenn jemand Vorschläge einbringt, die unter der rollierenden Inflation sind. Denn die Arbeitnehmer sind in Vorleistung getreten – wir verhandeln für die letzten zwölf Monate.
9,6 Prozent Inflation ist Basis für die KV-Verhandlungen bei den Metallern. Was halten Sie davon, andere niedrigere Indikatoren heranzuziehen?
Ich kann nicht in der Halbzeit die Spielregeln ändern. Für die Menschen sind die Dinge um 9,6 Prozent teurer geworden. Punkt. Wenn die Leute kein Geld im Börsel haben, wie sollen sie dann die Wirtschaft wieder ankurbeln? Es braucht dafür gute Lohnabschlüsse.
Sie unken, sobald Lohnverhandlungen anstehen, sähen die Arbeitgeber die Konjunkturwolken aufziehen. Aber diesmal ist die Lage ernst, die Aufträge in der Bauwirtschaft brechen geradezu ein.
Es gibt eine angespannte Konjunktursituation. Die Ursache sind aber nicht die Lohnerhöhungen, es gibt de facto keine Lohn-Preis-Spirale. Die Unternehmen, die jetzt jammern, sollen sich erinnern, was sie im zweiten Quartal an Dividenden ausgeschüttet haben – da haben wir in Österreich eine Steigerung um 95 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Verantwortlich für die Konjunkturdelle sind die hohe Inflation und die Zinspolitik der EZB.
Die Wirtschaft klagt, die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Umfeld ist in Gefahr.
Klar verstehe ich das – kein Unternehmen möchte auf die hohe Gewinnmarge verzichten. Da wäre es schon besser, die Arbeitnehmer würden verzichten – das werden sie aber nicht.
Sie sorgen sich doch auch um die Existenz der Arbeitsplätze.
Zuerst geht es ihnen um die Aufrechterhaltung der Gewinne. Man tut so, als wäre der Lohnverzicht die einzig relevante Standortfrage – da machen wir ganz sicher nicht mit.
Sind Lohnabschlüsse unter zehn Prozent im Herbst vorstellbar?
Dazu gibt es definitiv keine Aussage von mir. Die Lohnverhandler brauchen keine Vorgaben.
Wird es Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage geben?
Wir haben immer eine sehr verantwortungsvolle Lohnpolitik gemacht und geschaut, dass wir die Kuh melken, aber nicht derschlagn.
Wie weit kann der Streit um höhere Löhne eskalieren?
Es geht noch immer darum, inflationsdämpfende Maßnahmen zu setzen. Daher gibt es am 20. 9. eine Menschenkette ums Parlament, wo die Beschlüsse gefasst werden müssten. Eine KV-Verhandlung ist ein seriöses Gespräch, aber am Ende des Tages ist es ein Verteilungskampf. Kollektives Verhandeln heißt nicht kollektives Betteln. Daher sind Maßnahmen zur Durchsetzung der Ziele immer möglich.
Sie sprechen sich definitiv gegen Lohnzurückhaltung aus, auch wenn man damit dem Gesamtsystem dienen könnte?
Wenn man sagt, wir sollten die Inflation nicht kompensieren, würden wir uns ins eigene Knie schießen. Warum sollen die Arbeitnehmer verzichten und die Dividenden verdoppeln sich fast?
SPÖ-Chef Babler will die 32-Stunden-Woche innerhalb von acht, neun Jahren einführen. Finden Sie das gut?
Dass wir uns auf den Weg machen, finde ich gut. Aber Arbeitszeit ist eine sehr komplexe Geschichte. Es braucht gute Gesetze als Rahmenbedingungen. Die eigentliche Gestaltung wird auf der Ebene von KV-Verhandlungen erfolgen. Auch Andreas Babler hat kein Gesetz über eine 32-Stunden-Woche sofort verlangt.