In unserem Sprachgebrauch haben sich angriffslustige Falken und friedfertige Tauben als Gegensatz etabliert. Das Bild findet sich in vielen Lebensbereichen, seit geraumer Zeit auch in der Geldpolitik. Um das Abstimmungsverhalten von Entscheidungsträgern zu erahnen, werden sie kategorisiert. So setzen sich Falken innerhalb der Europäischen Zentralbank (EZB) tendenziell dafür ein, dass die Bank mit hohen Zinsen eine hohe Inflation verhindert – die Geldmenge im Umlauf soll verringert werden. Man spricht dann von einer "restriktiven Geldpolitik". Tauben wollen im Gegensatz dazu niedrige Zinsen und billiges Geld, um Investitionsanreize zu setzen. Eine "expansive Geldpolitik" also.

Wie sich diese Einordnung aktuell abbildet? So trat etwa der slowakische Notenbankchef Peter Kažimír, ein überzeugter Falke, zuletzt offensiv für eine weitere Zinserhöhung bei der anstehenden EZB-Ratssitzung am Donnerstag ein. Es sei auch nach neun Erhöhungen in Serie "besser, auf Nummer sicher zu gehen", sagte Kažimír. Die Entwicklung der Inflation in der Eurozone im August hätte bestätigt, "dass es eindeutig zu früh ist, den Sieg zu verkünden".

Auch Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann zählt zu den EZB-Falken. "Meine Vermutung ist, dass man noch etwas drauflegen soll", erklärte Holzmann jüngst. "Wir müssen vielleicht ein bisschen mehr tun", sprach auch der belgische EZB-Rat Pierre Wunsch Notenbank-Klartext.
Tatsächlich halbierte sich die Inflation in der Eurozone nach den Höchstständen im Vorjahr, liegt aber immer noch weit über dem EZB-Ziel von zwei Prozent. Im August stiegen die Preise in der Eurozone um 5,3 Prozent. Und damit gleich hoch wie im Juli und nur knapp schwächer als im Juni (5,5 Prozent).

Tauben sehen Risiko für die Wirtschaft

Zugleich, und jetzt gelangen wir ins Gefilde der Tauben, ist kaum zu übersehen, dass sich vielerorts die Konjunktur eintrübt. Egal ob es um europaweite Einkaufsmanager-Indizes oder rückläufige BIP-Zahlen in wichtigen Volkswirtschaften geht. Die EZB müsse in diesem Umfeld "sehr vorsichtig sein", warnt der italienische Notenbankchef Ignazio Visco, der die Zinsen bereits vor der Juli-Erhöhung als "nicht sehr weit" vom Höhepunkt entfernt sah. Ähnliche Töne schlägt sein portugiesischer Kollege Mário Centeno an. Der Mann aus dem Taubenlager sah erst vor ein paar Tagen, dass "in monetären Dimensionen das Risiko, zu viel zu tun, immer größer wird".

Atmosphärische Unterstützung erfahren Centeno & Co. durch eine Umfrage der Agentur Reuters: Von 69 befragten Expertinnen und Experten rechnet aktuell eine Mehrheit von 39 Personen oder 57 Prozent damit, dass die EZB am Donnerstag tatsächlich eine Zinspause einlegen wird.

Schweigephase bis zur Sitzung

Übrigens, um noch einmal explizit ins Fach der Ornithologie zu wechseln: In den kommenden Tagen werden Sie weder Tauben noch Falken hören. Und auch keine Eule, wie sich EZB-Chefin Christine Lagarde einmal selbst nannte. Sieben Tage vor geldpolitischen Sitzungen treten EZB-Rats- und Direktoriumsmitglieder nämlich in eine "Quiet Period" ein. In dieser Schweigephase dürfen keine Kommentare abgegeben werden, welche "die Erwartungen im Hinblick auf geldpolitische Beschlüsse beeinflussen könnten", wie es die EZB formuliert. Gewissermaßen eine Baldrian-Kur für aufgeregte Finanzmärkte.