Vor dem Hintergrund enttäuschender Konjunkturdaten hat Chinas Zentralbank überraschend an der Zinsschraube gedreht. Wie die Notenbank am Dienstag mitteilte, wurde der Leitzins für Kredite mit einer einjährigen Laufzeit von zuvor 2,65 auf 2,5 Prozent gesenkt. Es ist die zweite Zinssenkung seit Juni und der stärkste Zinsschritt seit 2020.
Zudem wurde der einwöchige Reverse-Repo-Satz von 1,9 Prozent auf 1,8 Prozent verringert. Der Satz ist für kurzfristige Geschäfte mit den Geldhäusern relevant, allerdings nicht so bedeutend wie der Hauptleitzins MLF. Analysten wurden von der Entwicklung überrascht.
Kurze Zeit nach der Veröffentlichung der Zinsentscheidung legte das Pekinger Statistikamt Konjunkturdaten vor, die erneut überwiegend schwächer als erwartet ausfielen. Demnach stieg die Industrieproduktion im Juli im Jahresvergleich um 3,7 Prozent und damit schwächer als Analysten erwartet hatten. Auch das Wachstum der Einzelhandelsumsätze verlangsamte sich, auf nur noch 2,5 Prozent im Jahresvergleich. Dies ist die geringste Wachstumsrate in diesem Jahr.
Angeschlagener Immobiliensektor
Wie das Statistikamt zudem mitteilte, verzeichnete der angeschlagene Immobiliensektor im Juli einen Rückgang der Investitionen um 8,5 Prozent im Jahresvergleich. Zuletzt hatten Meldungen über Zahlungsschwierigkeiten von großen Unternehmen aus Chinas Immobilienbranche für eine nervöse Stimmung an den Finanzmärkten gesorgt.
"Insbesondere der seit einigen Jahren in China kriselnde Immobilienmarkt ist nach dem Heißlaufen zuvor sicherlich ein Risikofaktor", sagte Bernd Krampen, Analyst bei der NordLB. Seiner Einschätzung nach können Fehlentwicklungen auf dem Immobilienmarkt zu gravierenden Vermögensverlusten, zu Zahlungsschwierigkeiten und im Endeffekt zu einem Einbruch beim Konsum führen. "Genau das stellt das Horrorszenario für Peking dar", sagte Krampen.
"Es muss aber vermutlich noch mehr getan werden"
Auch Analyst Tommy Wu von der Commerzbank erkennt einen wachsenden Druck auf die politischen Entscheidungsträger in Peking, da sich das Vertrauen der Verbraucher und Unternehmen verschlechtere. Die heutigen Zinssenkungen dürften dazu beitragen, das Vertrauen in nächster Zeit bis zu einem gewissen Grad zu stabilisieren. "Es muss aber vermutlich noch mehr getan werden, hauptsächlich, um den Wohnungsmarkt zu stabilisieren und die Finanzierung von Bauträgern zu unterstützen", sagte der Commerzbank-Experte.
So denkt die chinesische Regierung laut Kreisen über Erleichterungen für den dümpelnden Aktienhandel in der Volksrepublik nach. Erstmals seit der Finanzkrise 2008 könnte die sogenannte Stempelsteuer auf gehandelte Aktien gesenkt werden, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg am Dienstag unter Berufung auf informierte Personen berichtete. Demnach diskutieren Experten im Finanzministerium in Peking derzeit einen entsprechenden Entwurf. Das Ausmaß einer Steuersenkung sei in Höhe und Dauer noch nicht festgelegt, hieß es.
Spürbar an Schwung verloren
Nach einem starken Jahresauftakt hat Chinas Wirtschaft spürbar an Schwung verloren. Im zweiten Quartal legte die Wirtschaftsleistung nur um 0,8 Prozent im Quartalsvergleich zu. Im Auftaktquartal war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) noch um 2,2 Prozent gewachsen.
Nach der Zinssenkung durch die Notenbank des Landes ist der Kurs der chinesischen Währung zum US-Dollar weiter gesunken und erreichte zeitweise den tiefsten Stand seit vergangenen November. Asiens Börsen haben auf die Zinssenkung in China nur verhalten reagiert.