Frau Bürgermeisterin Giorgi, Herr Stadtrat Brini, was sagt Ihnen "Tutto Gas"?
MASSIMO BRINI: Der Ausdruck fällt im Zusammenhang mit Pfingsten – woher er genau kommt, weiß ich aber nicht.
Er steht dafür, dass Jugendliche zu Pfingsten nach Lignano fahren, um "Gas zu geben", oft bis zur Besinnungslosigkeit.
BRINI: Von den Tausenden Jugendlichen, die nach Lignano kommen, benehmen sich nur einige wenige schlecht. Aber deren Verhalten prägt das Image der ganzen Veranstaltung.
Googelt man "Lignano" und "Österreicher", stehen Beiträge mit Begriffen wie "Exzesse", "Touristenansturm", "Pfingst-Besäufnis" ganz oben. Wie gefällt Ihnen das?
LAURA GIORGI: Es gibt einige junge Österreicher, die leider zu viel Alkohol trinken. Sie beschädigen Blumengefäße und Liegestühle am Strand, überall liegen kaputte Gläser herum. Diesen jungen Österreichern geht es schlecht, sie haben sich nicht mehr unter Kontrolle. Das ist schade, weil man bei uns ohne extreme Exzesse Vergnügen haben kann. In den letzten Jahren haben wir aber versucht, das Pfingstwochenende in den Griff zu bekommen.
Manche Italiener zeigen beim Villacher Kirchtag ähnliches Benehmen wie die Österreicher hier.
GIORGI (lacht): Ja, das ist eine Art kultureller Austausch.
Wie lautet Ihr Verständnis von Tourismus? Machen die Gastgeber die Regeln oder doch die Gäste, weil sie das Geld bringen?
GIORGI: Touristen müssen gut bedient werden, ja, aber die rote Linie ist dann überschritten, wenn der Tourist keinen Respekt mehr für die Stadt hat. Wenn er die Umwelt, in der er sich aufhält, nicht respektiert. Wir verteidigen diese rote Linie nicht mit Gewalt, aber wir begleiten unsere Gäste zu einem angepassten, besseren Benehmen. Würden sich die jungen Leute an die Regeln halten, hätten sie gewiss mehr Freude hier.
Welches Bild hat man in Lignano von uns Österreichern?
GIORGI: Wir sind Freunde der Österreicher. Das Bild der österreichischen Touristen ist generell sehr positiv. Ja, Pfingsten ist eine Ausnahme, da erlauben sich junge Österreicher ein Benehmen, das alle Grenzen überschreitet. Das hat aber mit dem Rest des Jahres nichts zu tun.
BRINI: Österreichische Touristen sind die besten. Sie sind oft gar keine Touristen, sondern Freunde.
Wie sehr schadet es der Außenwirkung von Lignano, wenn die Medien immer wieder über die Alkohol-Exzesse berichten?
GIORGI: Ein wenig schadet es dem Image natürlich. Vor allem andere Touristen, die nicht wissen, was hier passiert, sind dann oft negativ überrascht. Das ist kein schöner Anblick. Belastend sind auch die hohen Kosten für die Polizei und die Schäden, die mit den Exzessen verbunden sind. Aber heuer entwickelte sich das besser als vor der Pandemie.
Braucht es mehr Härte im Umgang mit jungen Menschen, die aus der Rolle fallen?
GIORGI: Ein bisschen schon. Für uns bedeutet das ja viel Arbeit, allein zur Koordination der Einsatzorganisationen, aber auch der Polizisten aus Österreich, die ganz wichtig für uns sind.
Haben Sie auch Verständnis für die feierwütigen jungen Leute?
GIORGI: Wir freuen uns sehr über junge Leute, aber wenn sie sich ein bisschen besser benehmen und sich kontrollieren würden, wäre es besser.
BRINI: Die Polizei kontrolliert das Geschehen – aber mit Feingefühl, weil wir wissen, dass die jungen Gäste von heute die Eltern von morgen sind und auch deren Kinder dann wieder nach Lignano kommen werden.
Österreicher verstehen sich gerne als sympathischer, weniger anstrengend, gemütlicher als Deutsche. Sie kennen beide – teilen Sie unsere Selbsteinschätzung?
BRINI: Mir fällt es jedenfalls viel leichter, private Freundschaften mit Österreichern zu schließen als mit Deutschen. Die geografische und kulturelle Nähe, auch das Essen, verbinden. Man trifft viele Österreicher in Friaul – und wir treffen auf viele Landsleute in Kärnten.
Verbindet das Erbe der gemeinsamen Geschichte mit Österreich?
GIORGI: Absolut. Diese Geschichte spürt man heute immer noch, sie ist lebendig.
BRINI: Wir wollen die Österreicher jetzt noch enger an Lignano binden und planen ein Konzert mit Andreas Gabalier im nächsten Jahr.
GIORGI: Das wäre unser Dankeschön an die Österreicher.
Welche Unterschiede nehmen Sie zwischen Österreichern und Italienern wahr, abseits des Musikgeschmacks?
BRINI: Ich sehe keine Unterschiede zwischen Friulanern und Österreichern. Nur eines: Die Österreicher essen zu früh am Abend.
Stehen Ihnen Österreicher gar näher als Landsleute im Süden?
BRINI: Ja, ich fühle mich den Österreichern näher. Einen Österreicher verstehe ich, einen Süditaliener, der Dialekt spricht, nicht.
GIORGI: Dank der Geschichte ist die Integration mit Österreichern besonders eng: die Kultur, die Art, wie man dem Leben begegnet, auch das Wetter – im Winter ist es hier wie dort kalt. All das verbindet uns Friulaner mit Österreich. Den Süden Friauls und den Süden Österreichs verbindet auch die gute Laune.Es heißt, dass der Staat in Italien nicht ganz so gut funktioniert wie in Österreich? Was ist da dran?
GIORGI: Das stimmt, Italiens Bürokratie ist kompliziert. Sie ist auch für uns Italiener anstrengend, nur sind wir sie gewöhnt. Wir wissen, dass gewisse Dinge in Österreich einfacher funktionieren. Es ist wie bei einem Virus: Jeder weiß, dass die Bürokratie in Italien kompliziert ist, aber niemand hat es geschafft, uns davon zu befreien. Man glaubt zwar, dass man damit alles besser kontrollieren würde – aber das Gegenteil ist der Fall.
Welche Erfahrungen machen die Bürger Lignanos mit den Leuten, die hier Ferien verbringen?
GIORGI: Menschen, die aus den verschiedensten Ländern zu uns kommen, haben uns die Welt geöffnet und uns der Welt nähergebracht. Sie haben unser Denken erweitert. So wie für jeden Ort, der viel mit Ausländern zu tun hat. Der Tourismus hat Lignano toleranter gemacht.
Die Hitze hält diesen Sommer Italien fest im Griff. Macht der Klimawandel Tourismus an der Adria irgendwann unmöglich?
GIORGI: Ich glaube nicht, dass der Klimawandel an der oberen Adria wirklich viel ändern wird, jedenfalls in den nächsten Jahrzehnten nicht.
BRINI: Der Klimawandel und die größere Wärme könnten uns höchstens dabei helfen, die Saison zu verlängern.
Keine Angst, dass es zu heiß wird für Ferien im Hochsommer?
BRINI: Nein, das glaube ich nicht. Allein zwischen Lignano Sabbiadoro und Pineta, wo der Pinienwald für frischere Luft sorgt, beträgt der Unterschied im Sommer oft vier, fünf Grad. Wenn es in Sabbiadoro zu warm wird, werden wir auch dort mehr Bäume pflanzen.
GIORGI: Das Meer und der Wind helfen uns sehr. Man lebt bei uns mitten in der Natur.