Die heimische Wirtschaftsleistung ist im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal laut aktueller Wifo-Schnellschätzung preisbereinigt um 0,4 Prozent geschrumpft. Rückgange in Industrie und Bauwirtschaft sowie bei privaten Konsumausgaben und Bruttoanlageinvestitionen dämpften die Gesamtwirtschaft. Positiv lief es für einige Dienstleistungsbereiche. Im Jahresvergleich sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal gegenüber der Vorjahresperiode um 0,3 Prozent.
Nachdem Österreichs Wirtschaft bereits seit dem dritten Quartal 2022 stagniert war, belasteten vor allem die Rezession in der Industrie sowie Einbußen in der Bauwirtschaft die aktuelle gesamtwirtschaftliche Entwicklung, schreibt das Wifo in seiner am Freitag veröffentlichten Schnellschätzung. Im ersten Quartal 2023 hatte es ein BIP-Plus gegenüber dem Vorquartal von 0,1 Prozent gegeben.
Starkes Minus in der Bauwirtschaft
In der Industrie sank die Wertschöpfung laut Wifo-Berechnungen heuer im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal um 0,3 Prozent. In der Bauwirtschaft schrumpfte sie um 2,5 Prozent. Die Entwicklung im Dienstleistungssektor lief je nach Branche deutlich unterschiedlich. Während die Wertschöpfung in den sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen deutlich zurückging (-2,6 Prozent), stagnierte der Bereich Handel, Verkehr, Beherbergung und Gastronomie nahezu (-0,2 Prozent). Vom Tourismus kamen laut Wifo abermals positive Impulse. Die Bereiche Information und Kommunikation, Finanz- und Versicherungsleistungen, Grundstücks- und Wohnungswesen expandierten mit 0,2 Prozent.
Konsumnachfrage gedämpft
Die hohe Inflation dämpfte die Entwicklung der privaten Konsumausgaben. Die Konsumnachfrage der privaten Haushalte (einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck) sank um 1,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Der öffentliche Konsum stieg hingegen um 0,9 Prozent.
Die schwache Industriekonjunktur drückte auch auf den Außenhandel. Insgesamt stiegen die Exporte um 0,6 Prozent. Mit einem Rückgang der Importe von 1,1 Prozent habe der Außenbeitrag positiv zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum beigetragen, so die Wifo-Ökonomen. Aufgrund der Konjunktureintrübung investierten die Unternehmen weniger: Die Bruttoanlageinvestitionen sanken im zweiten Quartal im Vorquartalsvergleich um 2,1 Prozent.
Opposition kritisiert Wirtschaftspolitik der Regierung
FPÖ und SPÖ kritisierten angesichts der aktuellen BIP-Daten die Wirtschaftspolitik der türkis-grünen Regierung. Man brauche "eine Preisbremse mit umfassenden Steuersenkungen auf Grundnahrungsmittel, Energie und Treibstoffe und auch ein sofortiges Aus dieser Russland-Sanktionen", forderte FPÖ-Wirtschaftssprecher Axel Kassegger am Freitag in einer Aussendung. "Die Untätigkeit und Unfähigkeit der Regierung bescheren uns heute die höchste Inflation in Westeuropa", kritisierte SPÖ-Klubobmann Philip Kucher. Die SPÖ drängt seit Herbst 2021 auf Anti-Teuerungsmaßnahmen, unter anderem Markteingriffe bei Mieten und Energiepreisen. Für WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf ist die Wifo-Schnellschätzung "ein deutliches Warnsignal und Aufforderung, sofort gegenzusteuern". "Wir verlieren im internationalen Vergleich deutlich an Wettbewerbsfähigkeit. Es muss alles Erdenkliche getan werden, um drastische Auswirkungen auf unseren Standort zu verhindern, damit wir im globalen Wettbewerb nicht abstürzen und unseren Wohlstand halten können", so der WKÖ-Generalsekretär.
Deutschland: Stagnation statt Rezession
Die deutsche Wirtschaft hat ihre Rezession mit einer Stagnation im zweiten Quartal knapp beendet. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) verharrte von April bis Juni auf dem Niveau des ersten Quartals, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Davor war es zwei Quartale in Folge geschrumpft, was Ökonomen als technische Rezession bezeichnen – und zwar revidiert um minus 0,4 (bisher -0,5) Prozent Ende 2022 und um minus 0,1 (bisher: -0,3) Prozent Anfang 2023.
Befragte Analysten hatten allerdings diesmal mit einem Wachstum von 0,1 Prozent gerechnet. Den Statistikern zufolge "haben sich die Konsumausgaben der privaten Haushalte nach dem schwachen Winterhalbjahr" diesmal stabilisiert.
Aussichten für die zweite Jahreshälfte aber eingetrübt
Die Aussichten für die zweite Jahreshälfte sind allerdings alles andere als rosig. Mit dem Ifo-Geschäftsklimaindex ist der wichtigste Frühindikator für die Entwicklung von Europas größter Volkswirtschaft im Juli bereits den dritten Monat in Folge gesunken. "Die Schwächephase der deutschen Wirtschaft geht in die Verlängerung", sagte deshalb der Leiter der Ifo-Umfrage, Klaus Wohlrabe. Das Bruttoinlandsprodukt werde im laufenden dritten Quartal voraussichtlich sinken.
Auch die deutsche Regierung gibt noch keine Entwarnung. Im laufenden Quartal sei von einer "gedämpften konjunkturellen Entwicklung" auszugehen, heißt es im aktuellen Monatsbericht des deutschen Wirtschaftsministeriums. "Eine stärkere wirtschaftliche Belebung wird erst erwartet, wenn sich eine spürbare weltwirtschaftliche Erholung abzeichnet und die Kaufkraft aufgrund rückläufiger Inflation und höherer Tarifabschlüsse wieder steigt", so das Ministerium.
Deutschland schneidet dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge im Vergleich mit anderen Industrienationen außerordentlich schlecht ab – als einziges großes Land mit einer heuer wohl schrumpfenden Wirtschaftsleistung. Der IWF sagt in seiner gerade veröffentlichten Sommerprognose ein Minus beim Bruttoinlandsprodukt von 0,3 Prozent voraus, nachdem er im Frühjahr nur mit minus 0,1 Prozent gerechnet hatte. 2024 soll es dann zu einem von 1,3 Prozent reichen.