Im Juli 2022 hat die Europäische Zentralbank – spät, aber doch – der zuvor sieben Jahre andauernden Nullzins-Ära abgeschworen. Die Inflation war zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Ruder gelaufen, lag viermal höher als das eigene Ziel von zwei Prozent. Auf die erste Zinserhöhung seit dem Jahr 2011 folgte binnen eines Jahres ein Reigen von acht Zinserhöhungen in Folge. Am kommenden Donnerstag steht im EZB-Rat um Präsidentin Christine Lagarde die neunte Anhebung – auf dann 4,25 Prozent – bevor. Darüber herrscht weitgehend Einigkeit und Lagarde hat diesen Zinsschritt im Juni eigentlich auch schon vorweggenommen und auch unterstrichen: "Der Kampf gegen die hohe Inflation ist noch nicht beendet."
Einen Tag vor der EZB ruft auch die US-Notenbank Fed zur "Sommersitzung". Nach einer Serie von zehn aufeinanderfolgenden Zinserhöhungen hatte die Fed im Juni eine Pause eingelegt und die Zinsen, die derzeit bei einer Spanne von fünf bis 5,25 Prozent liegen, nicht erhöht. Die US-Inflationsrate ist mittlerweile auf drei Prozent gesunken, in der Eurozone geht sie zwar auch zurück, liegt aber noch immer bei 5,5 Prozent – in Österreich sogar bei acht Prozent.
"Finalspiel" in den USA?
Bei der Fed könnte, so die Erwartung, am Mittwoch eine Art Finalspiel bevorstehen. Der US-Jobmarkt, auf den die US-Währungshüter neben der Preisstabilität per Mandat ebenso achten müssen, erweist sich als robust. Fed-Chef Jerome Powell hat für heuer noch bis zu zwei Zinserhöhungen angedeutet, Volkswirte gehen laut jüngster Reuters-Umfrage aber mittlerweile von nur noch einer aus – und die dürfte übermorgen in einem Ausmaß von 0,25 Prozentpunkten erfolgen. Dann könnte der sogenannte Zinsgipfel erreicht sein.
In der Eurozone ist der Ausblick für den Herbst indes weniger klar. Daher gilt auch für diese EZB-Ratssitzung, dass die anschließenden perspektivischen Erläuterungen von Lagarde Wort für Wort, Andeutung für Andeutung seziert und auf die sprichwörtliche Goldwaage gelegt werden.
"Eine Möglichkeit, aber keineswegs eine Gewissheit"
Im Gegensatz zur Fed ist die Geldwertstabilität ja das einzige Mandat der EZB. Beobachter sind zuletzt aber zunehmend davon ausgegangen, dass die rasante Konjunkturabschwächung in den künftigen Zins-Überlegungen der EZB nicht mehr gänzlich weggewischt werden dürfte. Immerhin 35 von 75 Ökonomen erwarten laut Reuters-Umfrage, dass die EZB die Zinsen bei der übernächsten Ratssitzung am 14. September nicht mehr weiter anheben wird.
Bei den obligatorischen, teils kryptisch formulierten, "Wasserstandsmeldungen" einzelner EZB-Ratsmitglieder ist Anfang der Woche jene des niederländischen Notenbankchefs Klaas Knot besonders breit analysiert worden. Knot gilt an sich als besonders vehementer Verfechter einer straffen Geldpolitik. Doch diesmal ließ er via "Bloomberg TV" wissen: "Für Juli halte ich es für eine Notwendigkeit – für alles darüber hinaus wäre es höchstens eine Möglichkeit, aber keineswegs eine Gewissheit." Sein ebenfalls bemerkenswerter Zusatz: Ab Juli müsse der EZB-Rat die konjunkturelle Entwicklung besonders sorgfältig beobachten. Dass die Zinserhöhung am Donnerstag aber überhaupt schon das Ende der Fahnenstange sein könnte, gilt dennoch als unwahrscheinlich. Der Weg zum Zinsgipfel – für die EZB bleibt er wohl noch beschwerlich.