Nach einem Entscheid des Obersten Gerichtshofes (OGH) muss das Baukartellverfahren gegen Österreichs Branchenführer Strabag trotz bereits verhängter Millionenstrafe komplett neu aufgerollt werden. Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hatte den Kronzeugenstatus der Strabag in einem Rekurs beim OGH infrage gestellt und war damit erfolgreich. Das Kartellobergericht trage dem erstinstanzlichen Kartellgericht die Fortsetzung des Verfahrens gegen die Strabag auf, teilte die BWB mit.

Die Bundeswettbewerbsbehörde hatte "aufgrund neuer vorliegender Tatsachen und Beweismittel", eine gerichtliche Überprüfung des rechtskräftigen Beschlusses vom 21. Oktober 2021, mit dem gegen zwei Gesellschaften des Strabag-Konzerns eine Geldstrafe von 45,37 Millionen Euro verhängt wurde, "hinsichtlich der vollständigen Einhaltung der Kooperationspflicht von Strabag als Kronzeuge" beim Kartellgericht beantragt.

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Das Kartellgericht wies den Abänderungsantrag der BWB mit Beschluss vom 20. Oktober 2022 zurück. Dagegen hatten die Bundeswettbewerbsbehörde und auch der Bundeskartellanwalt am 22. November 2022 Rekurs an den Obersten Gerichtshof als Kartellobergericht erhoben. Der OGH habe nunmehr den Rechtsmitteln mit Beschluss vom 25. Mai 2023 "vollinhaltlich Folge gegeben", den Beschluss des Kartellgerichts vom 20. Oktober 2022 "ersatzlos aufgehoben" und dem Kartellgericht "die Fortsetzung des Verfahrens zum Abänderungsantrag unter Abstandnahme des gebrauchten Zurückweisungsgrundes aufgetragen", gab die BWB am Donnerstag bekannt.

Wie es nun weitergeht

Das Verfahren ist jetzt vor dem Kartellgericht fortzusetzen. Dort ist auch über eine entsprechende Geldbuße neu zu entscheiden. Kartellstrafen können laut Kartellgesetz (§ 29 KartG) bis zu einem Höchstbetrag von 10 Prozent des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes gegen Unternehmen verhängt werden. 2022 erwirtschaftete die Strabag einen Konzernumsatz von 17 Mrd. Euro.

"Das ist sicherlich die maßgeblichste Entscheidung der letzten zehn Jahre für den österreichischen Kartellrechtsvollzug", betonte BWB-Generaldirektorin Natalie Harsdorf-Borsch. "Vergabeabsprachen sind schwerwiegende Delikte, wir setzen unsere Anstrengungen fort, der Oberste Gerichtshof stärkt hier dem Rechtsstaat den Rücken."

Strabag: "Immer umfänglich und intensiv kooperiert"

"Die Entscheidung des OGH ist uns gestern zugestellt worden", bestätigte die Strabag in einer ersten Stellungnahme. Bei diesem Beschluss handle es sich nicht um eine inhaltliche Entscheidung. "Vielmehr hat der Oberste Gerichtshof lediglich über die Zulässigkeit des Antrags der BWB im Abänderungsverfahren entschieden", betonte der Konzern gegenüber der APA. Das Oberlandesgericht Wien werde als Kartellgericht nunmehr prüfen, ob der Antrag der BWB inhaltlich berechtigt sei. "Dies ist nach unserer festen Überzeugung nicht der Fall. Der Vorstand der Strabag SE hält weiter daran fest, dass das Unternehmen umfänglich und intensiv mit der BWB im Rahmen des Kronzeugenprogramms kooperierte." Die Strabag habe durch ihre Kooperation maßgeblich zur Aufklärung beigetragen und daher auch als erstes Unternehmen das Kartellverfahren beendet. Darüber hinaus habe Strabag ihr Compliance-System nachgeschärft: Das Normungsinstitut Austrian Standards habe die Strabag vor kurzem nach ISO 37001 (Anti-Korruptions-Managementsysteme) und ISO 37301 (Compliance-Management System) zertifiziert.

Zunächst deutlich geminderte Geldstrafe beantragt

Das Kartellgericht hatte die Geldbuße gegen den Bauriesen wegen kartellrechtswidriger Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausches mit Mitbewerbern in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau in Österreich im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017 verhängt. Aufgrund der im kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren abgegebenen, umfangreichen Kronzeugenerklärung und der Abgabe eines Anerkenntnisses für das kartellgerichtliche Verfahren hatte die BWB zunächst eine deutlich geminderte Geldstrafe beantragt.

Im Wege der Amtshilfe erlangte die BWB jedoch durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eigenen Angaben zufolge "Kenntnis über neue Tatsachen, die eine gerichtliche Überprüfung des rechtskräftigen Beschlusses vom 21.10.2021 erforderlich machten, nämlich im Hinblick auf die Einhaltung der vollumfänglichen Kooperation als Kronzeuge". Die BWB ersuchte allsdann das Kartellgericht mittels Abänderungsantrag den rechtskräftigen Beschluss vom 21. Oktober 2021 zu überprüfen und gegebenenfalls abzuändern. Dieses wies den Antrag zurück. "Zusammengefasst führte das Kartellgericht aus, dass eine Gesetzeslücke vorläge und es an der formellen Beschwerde der BWB mangle", berichtete die Wettbewerbsbehörde.

"Kann der Effektivität nicht dienen"

Der Oberste Gerichtshof sieht das anders: Konkret führte der OGH als Kartellobergericht laut BWB aus, dass der von der Bundeswettbewerbsbehörde gestellte Abänderungsantrag "die gesetzlich normierten Voraussetzungen erfüllt und die Zulässigkeit des Antrages entgegen der Einschätzung des Kartellgerichts nicht an der fehlenden (formellen) Beschwerde der BWB scheitert". Der Abänderungsantrag der BWB finde seine ganz klare gesetzliche Grundlage in den Paragrafen 72 ff AußstrG (Außerstreitgesetz, Anm.) und es bestünden keinerlei grundrechtlichen Bedenken gegen diesen Antrag.

"Es kann vielmehr der Effektivität des Kronzeugenprogramms nicht dienen, Unternehmer, denen aufgrund wissentlichen Verschweigens von Kartellrechtsverstößen der Kronzeugenstatus zuerkannt wurde, vor der Verhängung angemessener Geldbußen zu schützen, wenn sich nachträglich ergibt, dass die Bundeswettbewerbsbehörde davon unverschuldet keine Kenntnis hatte."

Eine rechtsstaatlich bedenkliche mangelnde Vorhersehbarkeit des Verwaltungshandelns könne darin, dass die Bundeswettbewerbsbehörde von einem gesetzlich normierten Rechtsbehelf (Abänderungsantrag nach §§ 72 ff AußStrG) Gebrauch macht, ebenfalls nicht erkannt werden.

Kronzeugenregelung seit 2005 verankert

Mit der Wettbewerbsgesetznovelle 2005 sei auch im österreichischen Wettbewerbsrecht eine Kronzeugenregelung für Unternehmen verankert worden, erklärte die BWB. Bisher seien über 120 solcher Kronzeugenanträge bei den heimischen Wettbewerbshütern eingelangt. "Kronzeugen müssen wahrheitsgemäß, uneingeschränkt und zügig mit der Bundeswettbewerbsbehörde zwecks vollständiger Aufklärung des Sachverhaltes zusammenarbeiten sowie sämtliche Beweismittel für die vermutete Zuwiderhandlung, die sich in ihrem Besitz befinden oder auf die sie Zugriff haben, vorlegen."