Der BGH hat Hunderttausenden Betroffenen des Abgasskandals den Weg zu Schadenersatz geebnet. Aber seit seinem ersten und wichtigsten Urteil aus dem Mai 2020 galt stets: Ansprüche hat nur, wer vom Autobauer über den Schadstoffausstoß auf sittenwidrige Weise getäuscht wurde. Beim VW-Skandalmotor EA189 war das der Fall. Denn hier wurde eine Betrugssoftware so programmiert, dass die Autos in Behördentests in einen speziellen Modus wechselten – und dann weniger giftige Abgase freisetzten als tatsächlich im Straßenverkehr.
Was ist jetzt anders?
Ein Urteil aus Luxemburg rüttelt an der bisherigen BGH-Rechtsprechung. Denn der EuGH hatte die Hürden in einem Mercedes-Fall aus Deutschland im März deutlich niedriger angesetzt. Schadenersatzansprüche sollten demnach schon bei einfacher Fahrlässigkeit entstehen – und nicht erst dann, wenn bewusst geschummelt und getrickst wurde.
Was heißt das für jene, die bisher leer ausgingen?
Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hat den Weg für Entschädigung in weiteren Dieselfällen jetzt freigemacht. Autohersteller müssen grundsätzlich Schadenersatz für Dieselautos mit Thermofenstertechnik zahlen, wenn diese in einem zu kleinen Temperaturbereich Abgase ordnungsgemäß von Schadstoffen reinigt. Grundsätzlich stehe den Käufern dann ein Schadenersatz in Höhe von fünf bis 15 Prozent des Kaufpreises zu, erklärte der BGH am Montag.
Der BGH hob Urteile von Gerichten auf, die Schadenersatzklagen abgewiesen hatten, und verwies sie zurück. Die Berufungsgerichte müssten die Haftungsfrage weiter aufklären, erklärte Richterin Eva Menges. Dabei sei es Sache der Autohersteller, das ordnungsgemäße Funktionieren eines Thermofensters nachzuweisen.
Nicht nur Fahrlässigkeit als Voraussetzung
Geklagt hatten Autobesitzer gegen Audi, Mercedes-Benz und Volkswagen. Ihre Diesel-Pkw halten nur bei bestimmten Außentemperaturen die Schadstoffgrenzwerte für Stickoxid ein. Bei hohen und niedrigen Temperaturen wird die Abgasreinigung zum Motorschutz gedrosselt. Das ist nach EU-Recht prinzipiell möglich, die Grenzen dafür wurden durch Rechtsprechung infolge des Dieselskandals aber eng gezogen. Die Kläger können einen Teil des Kaufpreises zurückerhalten, sofern in den Motoren ihrer Autos eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist.
Mit dem Urteil ändert der BGH seine bisherige Rechtsprechung, wonach es keinen Schadenersatzanspruch gab, weil beim Thermofenster nur von Fahrlässigkeit und nicht von vorsätzlicher Schädigung auszugehen sei. Der übergeordnete Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hatte dagegen entschieden, dass der Käufer einen Anspruch auf Entschädigung auch bei Fahrlässigkeit hat. Offen dazu sind noch mehr als 100.000 Verfahren in Deutschland. Die Autobauer verweigerten bisher Schadenersatz, weil ihre Technik rechtlich einwandfrei und vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigt sei.