Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance in Oxford, im Gespräch mit der Kleinen Zeitung über ...
... das europäische KI-Gesetz:
Vorerst ist es nur der Aufschlag des Parlaments. Also der Beginn einer politischen Diskussion.
... die Wahrnehmung von KI:
Es wird viel darüber gesprochen, dass KI einen Bias hätte, diskriminierend wäre. Aber ist das so? Oder bildet KI nicht eher eine vorhandene Diskriminierung ab? Weil sie sich im Training auf Daten bezieht, in denen diese Diskriminierung abgebildet ist. Wir fürchten uns davor, dass uns die KI ins Gefängnis bringt. Und wissen gleichzeitig, dass Afroamerikaner eine vierfach höhere Wahrscheinlichkeit haben, für das gleiche Vergehen ins Gefängnis zu kommen wie Weiße. Wir haben eine systemische Massendiskriminierung in den USA. Das ist kein KI-Problem.
... Unternehmer, die KI entwickeln und zugleich vor ihr warnen:
Man muss die Motive für derlei Warnungen hinterfragen. Wenn sich ein Herr Musk hinstellt und sagt, man sollte die Entwicklung stoppen, könnte es auch ein Hinweis darauf sein, dass er in seinen eigenen Unternehmen mit KI noch nicht so weit ist. Und hofft, dass er, während andere eine Auszeit machen, einiges an Boden gut macht.
... digitale Souveränität in Europa:
Fangen wir an, alle Strukturen zu duplizieren, nur um souverän zu bleiben, machen wir alles selbst. Dann sind wir die autarken Bauern, die keinen Handel mehr betreiben. Denkt man das bis zum Ende, fällt uns die Effizienz der Arbeitsteilung weg. Dann haben wir zwar eine extrem resiliente, aber hochineffiziente Wirtschaftsstruktur. Das kann ein Ziel sein – aber dann kostet halt alles das Zehnfache.
... Europas Chancen im Digitalen:
Flaschenhälse für Technologien ausfindig machen. Bei hochenergetischer Lithografie von Computerchips hat Europa diesen Flaschenhals. Will China diese Chips bauen, brauchen sie Maschinen aus den Niederlanden.
... Bereiche, wovon Europa die Finger lassen sollte:
Cloud Computing. Das ist völlig kommodifiziert. Deswegen finde ich es falsch, würde man ein europäisches AWS (Amazon Web Services, Anm.) oder Google Cloud aufbauen.
Zu Gast war Viktor Mayer-Schönberger diese Tage beim Grazer IDea_Lab. "Die großen Fragen der Zeit sind nur interdisziplinär lösbar", betont dort Markus Fallenböck. ChatGPT etwa, der umstrittene wie populäre Chatbot, sei "eine Innovation, die uns als Gesellschaft fordert".
Antworten auf die Herausforderungen will Fallenböck, Vizerektor der Karl-Franzens-Universität, fortan in einem neu geschaffenen Labor finden. Im Zentrum stehen dort Fragen der digitalen Transformation, "insbesondere von künstlicher Intelligenz und Big Data", heißt es. Das Versprechen der Uni: Neueste Technologien sollen im "IDea_Lab" auf die aktuellsten Forschungsergebnisse treffen. Man sehe sich als "Brückenbauer" zwischen Technologie und Gesellschaft, sagt Fallenböck.
"Antworte nur, wenn du Fakten hast"
Ende Jänner offiziell eröffnet, will das in der Grazer Leechgasse angesiedelte überfakultäre Zentrum jetzt an Fahrt aufnehmen. Zeugnis dessen ist eine Netzwerkveranstaltung in dieser Woche. Dort formuliert zunächst Viktor Mayer-Schönberger inhaltliche Leitplanken. So müsse man sich vor gängigen Chatbots nicht fürchten. Diese seien zwar "unglaubliche Tools, um auf das Wissen der Menschheit zuzugreifen", zugleich aber auch nur so etwas wie "Wikipedia, ohne Wikipedia lesen zu müssen". Während derlei KI stets "in die Vergangenheit" blicken würde, sei der Mensch fähig "zielgerichtet zu träumen". "Maschinen rechnen, Menschen träumen", fasst Mayer-Schönberger pointiert zusammen.
Von der vifen Steuerung der Bots erzählt indes Harald Leitenmüller, Technikchef von Microsoft Österreich. "Antworte nur, wenn du Fakten hast", sei etwa als Intro sinnvoll, um ein "halluzinierendes" ChatGPT zu vermeiden. Er sieht durch KI jedenfalls eine "Ära der Co-Piloten" aufziehen. In Microsofts Produktwelt würden diese "in maximal zwölf Monaten" flächendeckend Einzug halten.
Die Notwendigkeit des Blicks über den technischen Tellerrand betont Sabine Flach, Professorin für Moderne und Gegenwartskunst. "Die Geisteswissenschaft darf nicht fehlen", sagt sie. Immerhin sei sie in der Analyse komplexer Prozesse unerreicht.