In der Automobilbranche haben es weltweit Dutzende von Steirern weit nach oben geschafft. In die oberste Führungsetage eines Herstellers allerdings erst einer: Hans-Peter Pessler aus Labuch bei Gleisdorf wurde Anfang des Jahres in den Vorstand des britischen Start-ups Ineos Automotive berufen und zieht seither dort als Chief Operation Officer (COO) die Fäden. Eine Bilderbuchkarriere, die im oststeirischen Viertelfeistritz auf Drehzahl kam. Dort konstruierte der Absolvent der HTL Weiz zunächst für das Maschinenbauunternehmen Winkelbauer Baggerschaufeln, ehe er 1998 bei Magna-Steyr anheuerte und sich danach beim Grazer Auftragsfertiger in unterschiedlichen Projekten die Sporen verdiente. Ein Entwicklungsauftrag der jungen britischen Automarke Ineos 2019 sollte sich schlussendlich als Sprungbrett in die erste Reihe erweisen. Als Projektleiter brachte Pessler den Geländewagen Grenadier zum Laufen und unterstützte obendrein im Vorjahr den herausfordernden Produktionsanlauf des ersten Modells im französischen Werk Hambach.
"Visionär, glasklar und auch knallhart"
Was folgte, war ein Angebot, das der profilierte Techniker nicht ablehnen konnte. Ineos-Eigentümer Sir Jim Ratcliffe ließ den Steirer gerade einmal ein Wochenende Zeit, darüber nachdenken. Pessler: "Die Botschaft von Ineos war klar: Wir wollen dich. So ein Angebot bekommt man nicht alle Tage." Seither bildet der Steirer zusammen mit Chairman Ashley Reed und CEO Lynn Calder den Vorstand der Marke, in dem er als COO für alle technischen und operativen Bereiche verantwortlich zeichnet. Zum milliardenschweren Ineos-Boss hatte Pessler schon früh ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Pessler: "Die erste Begegnung mit Jim Ratcliffe gab es im März 2021 auf dem Testgelände bei Magna-Steyr, dann trafen wir uns immer wieder am Schöckl, einmal war auch Toto Wolff dabei, er stellte gute Fragen. Jim ist ein echter Car-Guy, er ist Testfahrer und Designer zugleich, er will einfach alles wissen." Als Person vergleicht ihn Pessler durchaus mit Mateschitz: "Jim Ratcliffe ist eine Persönlichkeit, er ist visionär, glasklar in seinen Aussagen und auch knallhart."
"Keine Kompromisse ..."
Die Erwartungshaltung des Chefs ist hoch. Pessler: "Jim Ratcliffe hat als Vorgabe ein magisches Dreieck formuliert: keine Kompromisse bei Zuverlässigkeit, Offroad-Fähigkeit und Design. Es ist unser Credo." Mit dem Boss gibt es zumindest einmal im Monat ein Reporting-Meeting. Unter der Woche pendelt Pessler, der eine kleine Landwirtschaft bei Gleisdorf sein Eigen nennt, zwischen der Konzernzentrale London, Hambach, Stuttgart und Graz, wo das zweite Modell, der elektrische Offroader, bei Magna-Steyr entwickelt und ab 2026 auch gebaut wird.
Wie hat sich Ineos positioniert, wohin steuert die junge Marke? „Wir sehen uns als Nischen-Offroad-Marke und wollen zu einem vollwertigen globalen Automobilkonzern wachsen“, so Hans-Peter Pessler. Bis 2030 möchte man vier Baureihen auf der Straße haben. Noch heuer soll der Markteintritt in den USA erfolgen, 2027 steht China auf dem Speiseplan. „Wir haben viel vor. Und wir sind ehrgeizig: Best-in-class zu sein, ist unser Anspruch. Dafür geben wir Vollgas.“
Gerhard Nöhrer