Die Europäische Zentralbank (EZB) wird nach Einschätzung von Volkswirten am Donnerstag (4. Mai) erneut den Leitzins anheben. Die Spannung ist jedoch groß, wie groß der Zinsschritt ausfallen wird. Eine Mehrheit der Experten erwartet eine Anhebung um 0,25 Prozentpunkte. Eine Zinserhöhung um 0,50 Punkte wird jedoch nicht ausgeschlossen. Derzeit liegt der besonders wichtige Einlagensatz bei 3,0 Prozent.
Die Ungewissheit über das weitere Vorgehen der EZB ist größer als sonst. Schließlich hatte die Notenbank auf ihrer letzten Zinssitzung Mitte März keine klaren Signale für die nächste Sitzung gegeben. Die Unsicherheit war damals angesichts der Bankenturbulenzen in den USA und der Schweiz groß. Seither hat die Unsicherheit nachgelassen. Die EZB hatte damals den Leitzins trotz der Turbulenzen um 0,50 Prozentpunkte angehoben.
"Weitere Erhöhungen notwendig"
EZB-Direktorin Isabel Schnabel hat bis zuletzt einen größeren Zinsschritt ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Es sei aus ihrer Sicht "klar, dass weitere Zinserhöhungen notwendig sind", sagte Schnabel. "Aber der Umfang der Zinserhöhungen wird von den kommenden Daten abhängen." Auf Nachfrage antwortete Schnabel: "Datenabhängigkeit bedeutet, dass 50 Basispunkte nicht vom Tisch sind."
"Die Mitglieder des EZB-Rats scheinen sich einig, die Leitzinsen weiter anheben zu müssen, beurteilen den verbliebenen Bedarf an geldpolitischer Straffung jedoch unterschiedlich", schreiben die Experten der Dekabank. "Wir rechnen daher mit einem Kompromiss, bei dem die EZB die Leitzinsen bei dieser Ratssitzung um lediglich 0,25 Prozentpunkte erhöht, aber weitere Zinsschritte als wahrscheinlich bezeichnet."
Inflationsdruck wieder höher
Der Inflationsdruck in der Eurozone hatte sich im April sogar wieder etwas verstärkt. Die Verbraucherpreise erhöhten sich gegenüber dem Vorjahresmonat um 7,0 Prozent. Im März war die Rate noch deutlich gesunken, von 8,5 Prozent im Februar auf 6,9 Prozent. Die EZB strebt auf mittlere Sicht eine Rate von zwei Prozent an. Allerdings ging die derzeit stark beachtete Kerninflation im April etwas zurück. Bei der Kerninflation werden schwankungsanfällige Lebensmittel- und Energiepreise herausgerechnet.
Nach Einschätzung des Chefvolkswirts der VP Bank, Thomas Gitzel, kann der Rückgang der Kernteuerung als erstes Anzeichen dafür gewertet werden, dass die Trendwende bei der Inflationsentwicklung anstehe. Dies sei trotz der gestiegenen Inflationsrate eine gute Nachricht, aber noch kein Argument für die EZB, nicht weiter die Zinsen zu erhöhen. Für ein vorsichtigeres Vorgehen spricht jedoch, dass die Banken laut einer EZB-Umfrage in den ersten drei Monaten des Jahres ihre Kreditstandards weiter verschärft haben. Dies dürfte auch eine Folge der bisherigen Zinserhöhungen sein.
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer erwartet ein absehbares Ende der Leitzinserhöhungen. "Konkret gehen wir davon aus, dass die EZB die Zinsen auf den kommenden beiden Sitzungen noch einmal um jeweils 0,25 Prozentpunkte erhöht und dann bei einem Einlagensatz von 3,50 Prozent eine längere Pause einlegt." Eine Zinssenkung im kommenden Jahr erwartet Krämer im Gegensatz zu vielen Finanzmarktexperten nicht. "Denn das Zinsniveau dürfte kaum ausreichen, die Inflation wieder nachhaltig auf zwei Prozent zu drücken."