Die hohe Inflation hat Deutschland weiter fest im Griff und bremst die Konjunktur. Europas größte Volkswirtschaft schrammte nach einem kraftlosen Jahresstart nur knapp an einer Winterrezession vorbei. Der Privatkonsum fiel im 1. Quartal als Konjunkturstütze aus. Im April verharrte die Inflation trotz einer leichten Abschwächung mit 7,2 Prozent auf vergleichsweise hohem Niveau.
Volkswirte rechnen auch angesichts der Belastungen durch die Teuerung bestenfalls mit einem Mini-Wachstum im Gesamtjahr. Der Arbeitsmarkt zeigte sich trotz der Konjunktur-Flaute im April insgesamt stabil.
Nach einer ersten Schätzung stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal 2023 zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Zum Jahresende 2022 hatte sich die Wirtschaftsleistung nach jüngsten Daten noch um 0,5 Prozent verringert. Sinkt das Bruttoinlandsprodukt zwei Quartale in Folge, sprechen Ökonomen von einer sogenannten technischen Rezession.
"Rezession konnte gerade nochmal abgesagt werden"
Vor allem dank des milden Winters traten die schlimmsten befürchteten Szenarien nicht ein - etwa eine Gasmangellage, die tiefe Spuren hinterlassen hätte. "Die Rezession konnte gerade nochmal abgesagt werden", analysierte Dekabank-Experte Andreas Scheuerle. "Nach wie vor befindet sich der private Konsum in einer schwierigen Lage."
Positive Impulse kamen nach Angaben der Statistiker zu Jahresbeginn von den Investitionen und den Exporten. Der Privatkonsum fiel als Konjunkturstütze dagegen aus. Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist die hohe Teuerung eine Herausforderung: Sie zehrt an ihrer Kaufkraft, die Menschen können sich für einen Euro weniger leisten.
Die Menschen stünden "weiterhin auf der Kostenbremse" befand die Beratungsgesellschaft Simon-Kucher jüngst auf Basis einer Umfrage. Demnach will fast die Hälfte der gut 1.300 hierzulande Befragten in den nächsten zwölf Monaten seltener (44 Prozent) oder weniger (45 Prozent) einkaufen.
Inflation "nun recht stur"
Im April verlor die Inflation den zweiten Monat in Folge etwas an Tempo. Mit 7,2 Prozent blieb die jährliche Teuerung aber auf vergleichsweise hohem Niveau. Nach dem deutlichen Rückgang im März zeige sich die Inflation "nun recht stur", meinte KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib.
Der Preisauftrieb bei Nahrungsmitteln schwächte sich im April erstmals seit Monaten nach den vorläufigen Berechnungen etwas ab. Dagegen zog der Anstieg der Energiepreise wieder an. Energie verteuerte zum Vorjahresmonat um 6,8 Prozent nach einem Zuwachs von 3,5 im März und plus 19,1 Prozent im Februar. Die Bundesregierung bemüht sich über die rückwirkend zum 1. Jänner geltenden Preisbremsen Erdgas, Strom und Fernwärme erschwinglicher zu machen.
Nach Einschätzung von Nils Jannsen vom Institut für Weltwirtschaft IfW Kiel hat die deutsche Wirtschaft die Talsohle infolge der Energiekrise wohl erreicht. "Die Bäume wachsen für die deutsche Wirtschaft aber nicht in den Himmel." So belaste der Kaufkraftentzug durch die höheren Energiepreise weiter die Konjunktur.
Spuren am Arbeitsmarkt hinterlassen
Auf dem Arbeitsmarkt hinterließ die flaue Konjunktur leichte Spuren. Die Frühjahrsbelebung bleibe auch im April schwach, sagte die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles. "Einer der Gründe dafür ist die träge Konjunktur. Insgesamt befindet sich der Arbeitsmarkt aber in einer stabilen Verfassung." Die Zahl der Arbeitslosen ging im April um 8000 auf 2,586 Millionen nach unten - im vergangenen Jahr stand zum selben Zeitpunkt noch ein Rückgang um 53.000 zu Buche. Die Arbeitslosenquote stagnierte nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit bei 5,7 Prozent. Die Behörde griff auf Daten zurück, die bis zum 13. April vorlagen.
Nach Einschätzung der "Wirtschaftsweisen" bremsen auch schlechtere Finanzierungsbedingungen wegen steigender Zinsen die Konjunktur. Dazu kommt eine Weltwirtschaft, die sich nur langsam von den Corona-Folgen erholt. Im laufenden Jahr dürfte das BIP nach Einschätzung des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung um 0,2 Prozent wachsen. Die Bundesregierung geht inzwischen von einem etwas stärkeren Plus von 0,4 Prozent aus.
Warnung vor zu großem Optimismus
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer warnte aber auch mit Blick auf die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) im Kampf gegen die hohe Inflation vor zu großem Optimismus. "Solchen Zinserhöhungen folgten in der Vergangenheit in Deutschland stets Rezessionen. Die meisten Volkswirte sind wohl zu optimistisch, wenn sie für die zweite Jahreshälfte einen klassischen Aufschwung erwarten."