Bundeskanzler Karl Nehammer wird heute das Wasserstoff- und das E-Fuel-Zentrum bei AVL List besuchen – inmitten der Diskussionen um den Nutzen der E-Fuels.
Beide AVL-Zentren sind richtungsweisend und international aufgestellt, das in Bau befindliche E-Fuel-Zentrum soll mit grüner Energie 100.000 Liter von dem klimaneutralen Kraftstoff produzieren, der in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt wird.
Hoher Energieeinsatz
Alle Aktivitäten stehen unter der Prämisse: Sinnstiftend in Sachen Umwelt ist ausschließlich der sogenannte grüne Wasserstoff, der mit erneuerbaren Energien hergestellt wird, mit einem Verfahren namens Elektrolyse. Wasser wird mithilfe von Strom in Wasserstoff (H₂) und Sauerstoff (O) zerlegt. In Folge kann man den Wasserstoff zu synthetischen Kraftstoffen – Benzin, Diesel, Kerosin – verarbeiten.
Der Energieeinsatz ist hoch, die Energiebilanz (maximal 30 Prozent der eingesetzten Energie gelangen derzeit bei E-Fuels ans Auto-Rad) Gegenstand der Diskussionen. Außerdem ist zu wenig grüne Energie vorhanden, um alle Bereiche (Pkw, Lkw, Luft-/Schiffsverkehr etc.) umzurüsten, und der E-Antrieb bilanziert besser.
Wasserstoff als Speichermedium
Aber Jürgen Rechberger, Manager des globalen Brennstoffzellenprojekts von AVL List, plädiert für einen weiteren Blickwinkel: etwa, dass man den heimischen Überschussstrom im Sommer zum Beispiel über Wasserstoff speichert. Außerdem seien die Importmöglichkeiten von erneuerbaren Energien zu sichern. "Und das wird nicht Strom sein, das wird in Wasserstoff gespeicherte Energie sein. Wir brauchen ein neues Element, um Energie speicherbar zu machen."
Rechberger sieht das Zögern beim Wasserstoffthema im europäischen Raum kritisch: "Da war man auf dem Holzweg." Er geht wie viele Experten zwar davon aus, dass der batterieelektrische Antrieb die dominante Technologie sein werde, aber: "Wir haben fünf Millionen Pkw in Österreich. Wenn wir das alles auf E-Fahrzeuge umlegen und nur ein Prozent davon auf Schnellladen umstellen, dann brauchen wir dreimal mehr Strom, als wir heute produzieren."
Zwei Millionen Brennstoffzellenfahrzeuge
Deshalb sieht er bei 20 bis 30 Prozent der zukünftigen Fahrzeuge ein "anderes Technologiepotenzial", also zum Beispiel Wasserstoff/Brennstoffzelle. Im Jahr 2030 rechnet er global mit zwei Millionen Brennstoffzellenfahrzeugen, man werde dann über ausreichend grünen Wasserstoff verfügen. Dieser soll direkt dort produziert werden, wo Energie gewonnen wird (Offshore-Windräder etc.).
Spektakuläres Projekt
Szenenwechsel nach Chile, Punta Arenas, E-Fuel-Anlage. Am Ende der alten Welt will ein Netzwerk aus Firmen der neuen Welt näherkommen. Porsche, Siemens, HIF initiierten ein spektakuläres Projekt im Süden Chiles, in einem menschenleeren Steppengebiet, das bis ans Meer reicht. Produziert werden sollen hier E-Fuels, über die sich ÖVP (Pro) und Grüne (Kontra) in Österreich gerade einen Schlagabtausch liefern.
Erstaunlich, wenn man diese Politdiskussionen verfolgt, war die Anwesenheit des deutschen Grün-Politikers Winfried Hermann bei der Eröffnung der Pilotanlage 2022 in Chile. Er ist Verkehrsminister in Baden-Württemberg und sagt: "Damit wir klimaneutral werden, sind mit erneuerbaren Energien erzeugte synthetische Kraftstoffe von großer Bedeutung."
Wie Porsche sieht er eine Reihe von Anwendungsgebieten, beide betonen aber den Fokus auf batterieelektrische Fahrzeuge im Pkw-Bereich.
550 Millionen Liter E-Fuels
Hier in Chile gewinnt man mithilfe chilenischer Windkraft aus Wasser grünen Wasserstoff, daraus erzeugt man mit CO₂ aus der Umgebungsluft Methanol, das zu Kraftstoffen für Autos oder Kerosin weiterentwickelt wird. Hürden sind noch zu bewältigen: Der Park der Windräder (440 im Endausbau, bisher steht nur eines) muss erst genehmigt werden, um die Anlage auf die geplanten 550 Millionen Liter Treibstoff pro Jahr zu skalieren. Auch die Entnahme von CO₂ aus der Luft ist in diesem Maßstab erst zu bewältigen.
Die Achillesferse der klimaneutralen Kraftstoffe (E-Fuels) war bisher der Energieeinsatz. Fährt ein E-Auto 100 Kilometer weit, kommt ein mit synthetischen Kraftstoffen betriebenes Fahrzeug mit der gleichen eingesetzten Energiemenge rund 20 bis 30 Kilometer.
Bessere Energiebilanz
Aber die Energiebilanzen werden besser. Hier in Chile ist der Wind so stark und nahezu permanent vorhanden, dass man die vierfache Energieernte im Vergleich zu einem europäischen Windrad einfährt. Im hier gewonnenen Methanol stecken 52 Prozent der eingesetzten Energie. Und das Windrad der Pilotanlage ist wirklich mächtig: 3,6 Megawatt Leistung, 134 Meter Ringdurchmesser.
Porsche erklärt, solange man nicht ausschließlich grünen Strom für den Betrieb der E-Autos einspeise, sei das Thema Dekarbonisierung nicht erfüllt – deshalb präferiere man Technologieoffenheit. Die Kosten für E-Fuels könnten mit der Massenproduktion sinken. Aktuell rechnet man mit zwei Dollar ohne Steuern pro Liter.
Didi Hubmann