Die junge Frau arbeitete von November 2018 bis März 2021 als Stewardess bei einem Gastronomiebetrieb, der für die Verpflegung von Bahngästen sorgt. Ihr direkter Vorgesetzter verhielt sich zweimal grob beleidigend: Einmal sprach er die Arbeitnehmerin auf ihre Oberweite an. Beim zweiten Mal äußerte er Spekulationen über ihre sexuellen Praktiken in Anwesenheit ihres Lebensgefährten, der damals ebenso in dem Unternehmen arbeitete.

Die Arbeitnehmerin wandte sich daraufhin an den Stellvertreter ihres Vorgesetzten. Der informierte daraufhin seine Chefin, die ein gemeinsames Gespräch in Aussicht stellte, zu dem es jedoch nie kam. Beim zweiten Vorfall sagte der Stellvertreter gegenüber dem Lebensgefährten der Arbeitnehmerin: "Bruder, hör auf, er ist so einer, lass es, er macht das öfters." Das Unternehmen schuf keine Abhilfe, das Opfer musste mit dem Täter weiter zusammenarbeiten.

4000 Euro vom Täter, die Firma wehrt sich

Die junge Frau und ihr Lebensgefährte wandten sich an die Arbeiterkammer Wien, die erfolgreich Schadenersatz für beide vom ehemaligen Vorgesetzten der Arbeitnehmerin eingeklagt hat. Er muss der Arbeitnehmerin 2500 Euro zahlen, ihrem Lebensgefährten 1500 Euro. Das Urteil ist bereits rechtskräftig. Das Unternehmen selbst, das seine gesetzliche Fürsorgepflicht vernachlässigt hat, hat gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts berufen. "Das Ausmaß, in dem Frauen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, ist erschütternd", sagt AK-Arbeitsrechts-Bereichsleiter Ludwig Dvořák.

Ist die Gastronomie dabei ein besonderes Problemfeld? Christian Kolbl, Geschäftsführer der Fachgruppen Gastronomie, Hotellerie und Kino-, Kultur- und Vergnügungsbetriebe in der Wirtschaftskammer Steiermark, sagt dazu: "Nach Rückfrage bei unserem Rechtsservice sind uns keine Fälle sexueller Belästigung am Arbeitsplatz in der Gastronomie gemeldet worden. Auch die AK Steiermark ist mit uns diesbezüglich nicht in Kontakt getreten." Wenngleich die Kontakthäufigkeit zu Mitmenschen in der Gastronomie, wie in allen Dienstleistungsberufen, eine höhere ist, erkenne man darin keinen auffallenden Problembereich. Das heiße aber selbstverständlich nicht, dass Vorfälle sexueller Belästigung im Arbeitsleben gänzlich ausgeschlossen werden können.

Fürsorgepflicht oft unterschätzt

Laut Bernadette Pöcheim, die in der AK Steiermark die Abteilung Frauen und Gleichstellung leitet, sind Belästigungen am Arbeitsplatz generell ein großes Thema in der Beratungspraxis. "Was auffallend ist, ist, dass die Belästigungen vermehrt auch über soziale Meiden – vor allem über WhatsApp passieren – was für uns den Vorteil hat, dass wir einen Beweis haben. Wichtig zu wissen ist: Der Arbeitgeber muss Abhilfe schaffen, sonst wird er selber schadenersatzpflichtig."

Ludwig Dvořák sagt im Hinblick auf den eingangs geschilderten Fall: "Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen ihre Fürsorgepflicht stärker als bisher wahrnehmen und die Beschäftigten vor Übergriffen schützen. Im vorliegenden Fall gab es weder vorbeugende Maßnahmen, noch ein klares Prozedere, wer was zu tun hat, wenn es einen Fall von sexueller Belästigung gibt." Was ihn besonders erschüttert, ist die Ansage des Stellvertreters, dass der Täter das öfter macht. "Und trotzdem hat jeder weggesehen! Die gesetzlichen Regelungen reichen nicht. Daher fordern wir die Anhebung des Schadenersatzes, den Unternehmen zahlen müssen, auf 5000 Euro, wenn es im Betrieb kein nachweisliches Präventionskonzept gibt."