Im vergangenen Jahr wurden 47 Millionen geleistete Über- und Mehrstunden nicht vom Arbeitgeber abgegolten - weder mit Geld noch mit Zeitausgleich. Das entspricht rund jeder vierten Überstunde und ist deutlich mehr als bisher. In den vergangenen Jahren waren es im Schnitt rund 40 Millionen Über- und Mehrstunden, schrieb die Arbeiterkammer (AK) Wien am Freitag unter Bezug auf eine für die AK erstellte Sonderauswertung der Statistik Austria.

AK-Sozialbereichsleiterin Ines Stilling sagt: "Das ist ein systematischer Lohnbetrug, der die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im letzten Jahr insgesamt 1,2 Milliarden Euro gekostet hat. Frauen sind noch stärker betroffen als Männer. Angesichts dieser Zahlen befremdet die Klage über den angeblichen Arbeitskräftemangel und das Teilzeit-Bashing sehr."

Frauen verlieren sogar 28 Prozent 

Insgesamt liegt der Anteil der Mehr- und Überstunden, die die Unternehmen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern weder in Zeit noch in Geld abgegolten haben, bei einem Viertel. "Männern werden 23 Prozent nicht abgegolten, bei Frauen, die zu einem deutlich höheren Anteil Teilzeit arbeiten, sind es sogar 28 Prozent! Auf der einen Seite wird von Teilzeitkräften verlangt, dass sie mehr arbeiten. Auf der anderen Seite werden viele Beschäftigte aber nicht bezahlt, wenn sie mehr arbeiten. Das passt doch vorn und hinten nicht zusammen!"

Durchhalten bis zur Pension?

Dazu kommt der hohe Arbeitsdruck, dem Beschäftigte ausgesetzt sind: Laut Arbeitsklimaindex der AK Oberösterreich kann sich jede und jeder Dritte nicht vorstellen, im aktuellen Beruf bis zum Pensionsalter durchzuhalten. Eine Million der Beschäftigten gibt an, Leistung bringen zu wollen, das aber aufgrund der gesundheitlich belastenden Arbeitsbedingungen und der zu hohen Anforderungen nicht zu schaffen. Stilling: "Wenn sowohl die Arbeitsbedingungen unzumutbar sind, als auch das Entgelt nicht passt, braucht sich niemand zu wundern, wenn die Menschen ihre Arbeitszeit verringern wollen."

Wirtschaftskammer: "Nicht nachvollziehbar"

Als "nicht nachvollziehbar" weist indes die Wirtschaftskammer die Vorwürfe der Arbeiterkammer in Hinblick auf unbezahlte Überstunden scharf zurück. "Gerade, weil Arbeitskräftemangel herrscht, handeln die Unternehmen verantwortungsvoll, was den Umgang von Dienstzeiten mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betrifft. Zudem wissen wir aus aktuellen Umfragen, dass heimische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Überstunden aktiv nachfragen und die Steuerbefreiung von Überstunden als geeignetes Mittel gegen den Arbeitskräftemangel ansehen", sagt Julia Moreno-Hasenöhrl, stv. Leiterin der Abteilung für Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).

Dass von Arbeiterkammer-Seite betont werde, Mehrarbeit werde gefordert, aber nicht abgegolten, sei nicht richtig und konterkariere die Forderung der Wirtschaftskammer nach einer höheren Steuerbefreiung von Überstunden: "Wer bereit ist, mehr zu arbeiten, für den soll sich das auch lohnen. Deshalb fordert die Wirtschaft, die Anzahl der steuerfreien Überstundenzuschläge – derzeit zehn pro Monat – zu verdoppeln", betont Moreno-Hasenöhrl.