Gut zwei Jahre hatte die phasenweise glücklose Suche nach einem neuen IHS-Chef gedauert, nachdem Martin Kocher Anfang 2021 als Minister in die Politik gewechselt war. Wegen offener Finanzierungsfragen warf etwa Lars Feld das Handtuch und unterschrieb einen eigentlich fertigen Vertrag nicht. Auch Guntram Wolff sagte ab. Im Februar wurde der Kocher-Nachfolger schließlich in Holger Bonin gefunden. Der 54-Jährige stellte sich am Dienstag in Wien in einem Pressegespräch vor und beantwortete gleich auch erste Fragen als Arbeitsmarkt- und Migrationsexperte.
"Aber ich muss auch mit ein paar Spekulationen aufräumen", so Bonin. Nein, er stamme nicht aus altem deutschen Adel, wie ihm das kürzlich zugeschrieben worden sei. "Die Wahrheit ist, ich komme aus einer Arbeiterfamilie und bin der Erste, der in meiner Familie studiert hat." Seine steile Karriere als Finanz- und Arbeitsmarktexperte krönt Bonin jetzt in Wien. Ab Juli wird er das größte wissenschaftliche Wirtschaftsinstitut nach dem Wifo in Österreich führen und den interimistischen Leiter Klaus Neusser ablösen, der dann in Pension geht. Das IHS beschäftigt rund 150 Mitarbeiter - davon bis zu 120 Forscher - und verfügt über ein Budget von zwölf Millionen Euro. Das Institut muss sich stark über Forschungsaufträge von externen Auftraggebern finanzieren.
"Ein anderes Ökosystem kennenzulernen, reizt mich"
Bonin freut sich sichtlich auf die Aufgabe, er könne damit ein sehr breit aufgestelltes Institut leiten, "ein echter Aufstieg, es reizt mich auch, noch einmal ein anderes Ökosystem kennenzulernen", sagt er in Richtung Politik: "Ich werde mit allen reden, aber niemandem nach dem Mund, ich werde aktiv meine Stimme erheben und nicht nur, wenn ich gefragt werde." In Deutschland ist Bonin schon lange als ausgewiesener Arbeitsmarktexperte in der wissenschaftlichen Politikberatung engagiert, etwa im Bereich Fachkräftemonitoring für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Zuletzt war Bonin Forschungsdirektor des IZA Institutes of Labor Economics in Bonn, ein hoch anerkanntes Institut mit rund 40 Mitarbeitern. Zudem ist Bonin in Kassel Professor für Volkswirtschaft mit den Schwerpunkten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
"Der Markt regelt nicht alles, aber der Staat auch nicht", ist etwa ein Satz, der oberflächlich Bonins Grundeinstellung widerspiegeln könnte. Seine politische Unabhängigkeit zu betonen, daran liegt ihm bei diesem ersten Pressetermin definitiv viel. "Ich habe kein Parteibuch", sagt er. Wäre ihm im Zuge des Auswahlverfahrens auch nur einmal eine Frage in diese Richtung gestellt worden, wäre er nicht gekommen, beteuert er.
Pointierte Aussagen sind von ihm jedenfalls Bezug auf die Beschäftigung von Migranten und im Umgang mit Langzeitarbeitslosen zu erwarten. Arbeit sei auch für jene "Menschen, bei denen es schiefgegangen ist" wesentlich. Die Mehrheit der Langzeitarbeitslosen können aufgrund schwerwiegender Probleme nicht arbeiten. Wer trotz bester Rahmenbedingungen keine reguläre Arbeit zu erwarten habe, dürfe nicht aus dem Blickfeld geraten. "Da kann man jetzt nicht sagen, wir lassen sie in Ruhe und finanzieren sie bis zur Rente durch. Ich glaube nicht, dass wir eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt hinbekommen, aber wir müssen sie sozial stabilisieren, und Arbeit ist ein ganz wesentliches Element der Stabilisierung."
Zur Beschäftigung von Migranten führt Bonin die insgesamt sehr guten Erfahrungen an, die Deutschland mit der sehr schnellen Arbeitsintegration Geflüchteter von 2015 bis 2017 gemacht hat. "Das hat sich gerechnet für den Staat", so Bonin, konkret durch deren Steuerleistungen. Gute Integration setze allerdings eine Veränderung in den Köpfen voraus. "Auch in den Köpfen der Verwaltung. Wir haben eine Ausländerbürokratie, die auf Abwehr eingestellt ist", so Bonin. Noch spricht er allerdings von Deutschland.
Claudia Haase