Kathryn "Kat" Cammack wurde auf der Online-Plattform TikTok am Freitag recht unverhofft zum Star. Immer wieder spülte der Algorithmus des Netzwerks die inhaltlich holprigen Fragen der US-Politikerin an die Oberfläche. "Kongressabgeordnete aus Florida hat keine Ahnung, wie TikTok funktioniert", lautete der unmissverständliche Titel eines der omnipräsenten Videos.
Anlass für die digitale Retourkutsche: Am Donnerstag war TikTok-Chef Shou Zi Chew zur Anhörung im US-Kongress geladen. Fünf Stunden lang wurde er dabei mit grobem Unverständnis und massivem Misstrauen konfrontiert. Versendet von einer seltenen politischen Eintracht zwischen Demokraten und Republikanern. Deren, wortwörtlicher, Generalvorwurf: "TikTok überwacht uns alle". Und, eng damit verbunden: "Die Kommunistische Partei kann damit ganz Amerika manipulieren".
Wobei Letzteres numerisch gar nicht allzu abwegig ist, gelten die USA doch mit 150 Millionen aktiven Nutzern als mit Abstand wichtigstes TikTok-Land. In China firmiert die App unter Douyin und als eigenes Unternehmen im Mutterkonzern ByteDance. Just dieser steht wiederum jetzt besonders im Fokus. Nur ein Herauslösen aus dem sehr eng mit der Politik verwobenen chinesischen Milliardenkonzern könne das Überleben von TikTok in den USA sichern, heißt es. Geschehe das nicht, folge eine landesweite Sperre.
"Das hätte nicht passieren dürfen"
Im US-Kongress ist Shou Zi Chew indes um Abgrenzung bemüht. "Wir unterstehen nicht der Kommunistischen Partei Chinas", lässt der Manager mit Harvard-Studium immer wieder wissen. Wenngleich der viel beäugte Auftritt nicht nur von Aneinander-Vorbei-Reden bestimmt ist. So räumt Chew etwa ein, dass Beschäftigte in China zurzeit Zugriff auf Daten von US-Bürger haben und die Bewegungen von Journalisten in den USA gezielt beobachtet wurden.
"Das hätte nicht passieren dürfen", sagt der 40-Jährige. Und er kündigt auch gleich an, das Fundament zu ändern. "Project Texas" nenne sich ein Plan. Dessen Eckpunkte: US-Nutzerdaten sollen künftig auf US-Servern eines US-Unternehmens (Oracle) von US-amerikanischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verwaltet werden.
Der Abwehrkampf des "Ausnahmetalents"
Von Medien schon einmal gerne als "Ausnahmetalent der chinesischen Tech-Szene" geadelt, bewegt sich Chew am politischen Parkett gut. In Davos war der frühere Xiaomi-Manager heuer beim Weltwirtschaftsforum zu Gast, in Brüssel traf er jüngst gewichtige Regulatoren. Notwendige Treffen. Um zu retten, was zu retten ist. Denn auch in Europa mehren sich TikTok-kritische Stimmen.
In Deutschland etwa sieht das Bundesamt für Verfassungsschutz in diesen Tagen erhebliche Risiken bei der Verwendung der Video-App. So sei der Umfang der von TikTok gesammelten Daten ebenso bedenklich wie die Möglichkeit staatlicher Einflussnahme.
Mitarbeitende der EU-Kommission dürfen die App nicht mehr auf Dienstgeräten verwenden und mussten sie auch auf privaten Handys löschen. Auch lettische und dänische Behörden untersagten ihrer Belegschaft die TikTok-Nutzung.
Österreich: 7 von 10 der 11- bis 17-Jährigen
Längst ist die Diskussion um TikTok als trojanisches Pferd auch in Österreich angekommen. Die Plattform ist hierzulande hochpopulär, etwa sieben von zehn der 11- bis 17-Jährigen verwenden sie. Eine wie in den USA diskutierte Komplettsperre von TikTok ist vorerst kein Thema, ein Verbot auf Dienstgeräten von Staatsbediensteten sehr wohl.
Eine Gratwanderung freilich, ist die Politik doch selbst rege auf TikTok. Mehr als 21.000 Menschen bespaßt etwa Verfassungsministerin Karoline Edtstadler auf der chinesischen Plattform. Auch die grünen Ministerinnen Alma Zadic und Leonore Gewessler versuchen sich immer aktiver als TikTokerinnen.
Offiziell will man sich bezüglich eines anstehenden Verbots noch nicht in die Karten schauen lassen. "Die Prüfung ist im Laufen", heißt es auf Nachfrage der Kleinen Zeitung aus dem Innenministerium nur. Und: "Es ist von einem Ergebnis vor Ostern auszugehen".