Josef Baumgartner ist ein gefragter Mann. Und routiniert. Seit über 20 dreht sich das wissenschaftliche Hauptaugenmerk des Ökonomen am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo um Inflation. Also dem Abbilden von Preissteigerungen. Und seit jeher gilt: Steigt die Inflationsrate, steigt auch das Interesse von Politik und Öffentlichkeit. "Aber so stark wie 2022 und heuer in den ersten drei Monaten waren die Anfragen noch nie", sagt Baumgartner.
Bei 11,2 Prozent lag Österreichs Inflationsrate – ihr zugrunde liegt ein Warenkorb mit 750 Einzelpositionen – im Jänner. Im Februar, so schätzt es die Statistik Austria, sollen es immer noch 11,0 Prozent gewesen sein. Dynamik, die man lange nicht kannte. Selbst der Profi muss weit zurückschauen. "Dass die Preissteigerungen praktisch alle Produkt- und Dienstleistungsgruppen und über einen so langen Zeitraum erfasst haben, gab es seit den 1970er-Jahren nicht mehr", erzählt Baumgartner.
Dabei ist es in Österreich nicht nur die Höhe der Rate, die verunsichert. Es ist auch der Vergleich. Bis Mitte 2022 stieg die Inflation im Land nahezu im Gleichklang mit jener Deutschlands und der Eurozone. "Dann ging die Lücke auf", stellt Baumgartner fest. Er macht den "unterschiedlichen Maßnahmenmix, um die Inflation zu bekämpfen", dafür hauptverantwortlich. Während andere Länder direkter in die Preisbildung, etwa bei Energiepreisen, eingriffen, setzte Österreich stärker auf finanzielle Abfederung der Inflationsfolgen.
Inflation: IHS und Wifo werden erhöhen
Orts- und Interviewwechsel. Auch Sebastian Koch ist dieser Tage omnipräsent. Zeichnet Josef Baumgartner am Wifo federführend für Inflationsanalyse und -prognose zuständig, tut Koch das am Institut für Höhere Studien (IHS). Und wie sein Kollege Baumgartner wird wohl auch Koch die Inflationsprognose für das Gesamtjahr bald anheben. Alles deutet auf eine Zahl um sieben Prozent.
"Überraschend war, dass die Preise für Haushaltsenergie zu Jahresbeginn noch einmal nach oben gingen", beginnt der Ökonom das Gespräch. Auch Koch wendet viel Kapazität dafür auf, zu verstehen, warum die Inflationsrate in Österreich besonders hoch ist – 2,5 Prozentpunkte über dem Durchschnitt des Euroraums, 1,7 Prozentpunkte über der deutschen Quote, 5,6 Prozentpunkte über der spanischen.
Schrittweise nähert sich Koch der Wahrheit. Einen "außergewöhnlich starken Preisanstieg" registriert der IHS-Forscher etwa "bei festen Brennstoffen und Fernwärme". Alleine diese beiden Bereiche würden für "einen Prozentpunkt Inflationsdifferenzial zum Euroraum" stehen, zitiert er aus dem Preismonitor des Instituts. In derselben Größenordnung entfernen die Bereiche "Restaurants (0,6 Prozentpunkte)" und "Möbelverkauf (0,3 Prozentpunkte)" Österreichs Rate vom Euroraum-Durchschnitt.
In Summe, so Koch, sei die "unterschiedliche Dynamik bei Energiepreisen hauptverantwortlich für die auseinanderklaffenden Inflationsraten" der einzelnen Länder. In Spanien etwa stiegen die Preise zunächst schneller und fielen dann, in Österreich zieht sich der Anstieg länger. "Das hat auch mit den tendenziell längerfristigen Lieferverträgen der Energieversorger zu tun", sagt der Ökonom. Überzeugt ist Koch, dass sich die Preissteigerung abschwächt. Schon im März sollte die Rate nach unten gehen. "Wir vergleichen uns jetzt mit einer höheren Vergleichsbasis", sagt er. Die Spritpreise etwa stiegen nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine Ende Februar 2022 rasant und liegen heute wieder niedriger. Es kommen also die von Ökonomen gerne zitierten "Basiseffekte" zum Tragen.
Viel Coronageld sorgt für Nachfrage
Ein Begriff, der uns auf direktem Wege zu einer weiteren viel gehörten ökonomischen Stimme im Land führt: Monika Köppl-Turyna, Direktorin des Instituts Eco Austria. "Die Hoffnung war, dass die Basiseffekte Anfang 2023 zu wirken beginnen. Das ist nicht eingetreten", sagt sie.
Als eine der ersten hatte sie dem Land zweistellige Inflationsraten prognostiziert. Ein gar schnelles Absinken sieht sie nicht. Denn: "Der Nachfrageeffekt spielt nach wie vor eine große Rolle." Noch immer sei viel Geld aus der Coronazeit im Umlauf, außerdem würden die hohen Lohnabschlüsse nun Arbeitskosten erhöhen und später Dienstleistungen verteuern.
Nicht zuletzt begünstigten auch viele der großen Veränderungen eine strukturell höhere Inflationsrate. Vier Punkte hebt die Ökonomin hervor: "Die Alterung, die Dekarbonisierung, die ein Kostenfaktor ist, ein neues Lieferkettengesetz in Europa, das eine Verteuerung in den Lieferketten bedeutet, und extrem hohe Staatsschulden."
Leitzins bald bei 5,0 Prozent?
An dieser Stelle erlauben wir uns einen letzten Ortswechsel. Und bewegen uns ans Ostend von Frankfurt am Main. Dort tagt am Donnerstag der Rat der Europäischen Zentralbank. Die nächste Zinsanhebung scheint fix, sie soll die weiter galoppierende Inflation bremsen.
Lag der Leitzins im Juli noch bei 0,0 Prozent, könnte er am Donnerstag 3,5 Prozentpunkte erreichen. Gegen Jahresende, da zeigen sich Baumgartner, Koch und Köppl-Turyna unisono überzeugt, werden es mehr als vier Prozentpunkte sein. Selbst eine Fünf vor dem Komma wollen sie nicht ausschließen. Zu beweglich sind die Zeiten. Was zugleich garantiert, dass die Expertise der Ökonominnen und Ökonomen weiter übermäßig gefragt sein wird.