Auf den ersten Blick ist es ein unscheinbares Blatt Papier, das Stefan Yazzie Herbert über seinem Schreibtisch hängen hat. Darauf zu sehen sind zahlreiche Unterschriften von Menschen, die ihm nahestehen. Im Zentrum des Blattes steht mit großen Lettern: "Insolvenzeröffnung Konkursverfahren". "Ich bin ein Mensch, der sehr glücklich ist, und das behalte ich bei, indem ich schlechte Zeiten mit guten umwickele", sagt der 32-Jährige, der vor Kurzem nicht nur seinen Geburtstag, sondern auch ein schmerzliches Jubiläum gefeiert hat. Im März vor einem Jahr stand er vor 700.000 Euro an Unternehmensschulden und musste für seine GmbH Insolvenz anmelden. Aber von Anfang an.

Herbert ließ das Dokument, das das Aus seiner GmbH ankündigte, von seinen Freundinnen und Freunden unterschreiben
Herbert ließ das Dokument, das das Aus seiner GmbH ankündigte, von seinen Freundinnen und Freunden unterschreiben © Stefan Yazzie Herbert



Der Austro-US-Amerikaner war schon immer ein kreativer Mensch: "Ich habe Kunst studiert, war danach als Bühnendesigner und Filmregisseur tätig. Mit Business habe ich nichts am Hut gehabt." Geld? Das bedeutet ihm nicht viel. "Eigentlich schlechte Bedingungen, um Geschäftsführer einer Firma zu sein", stellt er im Nachhinein lachend fest. Und dennoch hat er vor fünf Jahren die "House of Bandits GmbH" gegründet – eine Wiener Werbeagentur mit Co-Working-Space, der an andere kreative Köpfe weitervermietet wurde. "Schon zuvor haben wir 1,5 Jahre lang als Kollektiv gearbeitet. Über die Jahre sind wir gewachsen", sagt Herbert. Ziel war es, sich vom Start-up weg in Richtung eines großen Unternehmens zu bewegen. Dabei wurde teils voreilig gehandelt. "Wir sind zu schnell gewachsen, es gab firmeninterne Challenges, dann kam Corona", fasst der Ex-Unternehmer die letzten neun Monate des Unternehmens zusammen.

Kritische Phase junger Unternehmen

Tatsächlich sind die ersten vier Jahre eines Unternehmens – "House of Bandits" hat diese Marke knapp nicht erreicht – kritisch. Das bestätigt auch Karl-Heinz Götze, Insolvenzleiter des KSV1870, einem Kreditschutzverband, der Gläubiger unterstützt: "Das ist die gefährlichste Phase. In der Zeit entscheidet sich, was aus einem Unternehmen wird, oder auch nicht." Hauptursache für Insolvenzen bei Jungunternehmen? "Gründerfehler machen 28 Prozent der Ursachen aus. Zum Vergleich: Der allgemeine Schnitt liegt bei 22 Prozent", sagt Götze. "Darunter fallen etwa zu wenig Eigenkapital, fehlendes Know-how zur Branche oder betriebswirtschaftliche Unerfahrenheit."



Buchhaltung: Das war ein Bereich, mit dem sich Herbert schwertat. Immerhin hatte sein Unternehmen zu diesem Zeitpunkt mehr als ein Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden war. "Und ich wusste, es läuft nicht so gut. Die Sales entsprachen nicht dem Personal, das wir hatten. Aber ich war optimistisch", berichtet er rückblickend. "Wir hatten Verträge, die uns retten könnten." Bei seinem Freund Felix holte er sich Rat. Mehr als eine Stunde lang durchforstete dieser die Unterlagen, bis er zu dem Schluss kam: Die "House of Bandits GmbH" muss Insolvenz anmelden. Schon in der darauffolgenden Woche. "Das war wie eine Watsche ins Gesicht", sagt Herbert. Heute weiß er: "Ohne Felix wäre ich vielleicht im Häfen, weil ich Fristen verpasst hätte." Was folgte, war ein langer, bürokratischer Prozess.

"Die Kultur, bei Insolvenzen einen Eigenantrag zu stellen, wird nicht immer gepflegt, und zwar aus verschiedensten Gründen", sagt Markus Graf, stellvertretender Geschäftsstellenleiter des Alpenländischen Kreditorenverbandes. "Oft kann man es sich nicht eingestehen, 'gescheitert' zu sein, oder man versucht, irgendwie sein Unternehmen über Wasser zu halten." Das führe auch dazu, dass es dann für eine Sanierung zu spät ist. Und überhaupt müsse man eine Insolvenz nicht als Scheitern sehen: "Oft kann man gar nichts dafür. Aber wenn man von Anfang an versucht, mit den Betroffenen eine Lösung zu erarbeiten, macht es die Situation leichter." Er empfehle jedenfalls, selbst Insolvenz anzumelden oder sich zumindest früh einen Steuerberater oder Wirtschaftstreuhänder zurate zu ziehen. 

"Das schwierigste Jahr meines Lebens"

Kurz vor seinem 31. Geburtstag hielt Herbert schließlich jenes Dokument in den Händen, das das Aus seiner Firma offiziell einläutete; jenes Dokument, das bis heute in seiner Wohnung hängt: "Ich bin zu allen Freunden gefahren und habe sie unterschreiben lassen." Er wollte auf diese absurde, dumme Zeit, wie er sagt, mit guten Erinnerungen zurückblicken: "Ich komme aus Kalifornien. Im Silicon Valley ist es ziemlich normal, dass etwas misslingt."

Aber sein augenscheinlich lockerer Umgang solle dieses einschneidende Erlebnis keinesfalls verharmlosen: "Es war richtig hart. Freundschaften gehen dabei drauf, und wenn man Leute damit verletzt, dann ist das einfach nicht cool." Der Bescheid im März war nur der Anfang. Im Laufe der folgenden Monate sollten noch weitere Briefe bei ihm landen – Anzeigen, Klagen, Geldforderungen. 2022 bezeichnet der 32-Jährige als eines der schwierigsten Jahre seines Lebens. 

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Bald wird Herbert Privatinsolvenz beantragen. Die Folgen wird er noch in den darauffolgenden Jahren spüren. "Zum Beispiel kann ich dann keine neue Wohnung mieten oder mir einen neuen Handyvertrag zulegen, ohne dass jemand für mich bürgt", erklärt er.

Auffallend sei, dass immer mehr jüngere Menschen Privatinsolvenz anmelden, so KSV1870-Insolvenzleiter Götze. Laut Privatinsolvenz-Statistik sei der Anteil der Menschen unter 35 Jahren innerhalb von vier Jahren von 16 auf 23 Prozent gestiegen. "Mit 39 Prozent Hauptursache dafür ist eigenes Verschulden, also die Überschätzung der eigenen Leistungskraft." Und: 17,2 Prozent der jungen Menschen in Privatinsolvenz sind ehemalige Selbstständige wie Herbert, was über dem allgemeinen Schnitt von 14,7 Prozent liegt. 

Etwas vorsichtiger geworden

"Wenn ich könnte, würde ich vieles anders machen. Ich bin in der Idee festgesteckt, dass ich eine große Firma haben will, das war auch ein Ego-Push", sagt Herbert heute. Würde er nochmal gründen, würde er sein Unternehmen nicht so schnell wachsen lassen. Und: "Ich bin vorsichtiger geworden. Zuvor bin ich immer größere Risiken eingegangen, die gerade noch aufgegangen sind. Dieses Mal hat das nicht geklappt."

Dass man bei einer Unternehmensgründung aber immer ein gewisses Risiko eingeht, ist auch Götze bewusst, der in der Vergangenheit in der Unternehmensberatung tätig war: "Natürlich kann man sich nicht einfach in Wagnisse hineinstürzen, aber ein bisschen Risiko ist immer dabei." Wichtig sei es, den richtigen Umgang mit Finanzen zu lehren – der KSV1870 unterstützt etwa eine Vortragsreihe für junge Menschen – und Insolvenzen zu entstigmatisieren: "Es kann einfach passieren, da gibt es unterschiedliche Gründe. Wichtig ist es, aufzustehen und daraus zu lernen."

Viel gelernt

Viel gelernt hat auch Herbert durch diese Erfahrung. Etwa über Steuern und das Rechtssystem. "Ich kenne das Büro meines Anwalts inzwischen echt gut", sagt er augenzwinkernd. Den fünfstelligen Betrag an Schulden, den er in den kommenden Jahren abzahlen muss, vergleicht er gerne mit den Studiengebühren, die viele Menschen in seiner zweiten Heimat abzahlen müssen: "In den USA geben die Menschen Hunderttausende Euros für Wirtschaftsstudien aus."

Was aber auch bleibt, sind auch unzählige Erinnerungen und das, was wirklich für ihn zählt: "Meine Freunde stehen nach wie vor hinter mir und auch mit dem Großteil meines Teams habe ich noch Kontakt. Es gab Momente, da bin ich bei einem Flieger mitgeflogen, um die Leute beim Rausspringen zu filmen. Ich durfte nachts alleine durch ein großes Wiener Museum gehen und filmen. Ich bin auf der Spitze eines Windrades gestanden und habe Aufnahmen gemacht. Am Ende des Tages sind das die wahren Investments."