Exakt 399 Online-Shops von Einzelhändlern gerieten 2022 in das Visier von 23 nationalen Verbraucherschutzbehörden in Europa. Schwerpunkt der Kontrolle – initiiert von der EU-Kommission – waren manipulative Praktiken, die Konsumentinnen und Konsumenten dazu veranlassen, für sie nachteilige Geschäfte abzuschließen. Jeder kennt das: Sogenannte Countdown-Zähler suggerieren, dass ein Produkt bald vergriffen sei, wenn man es nicht schnell genug bestellt. Oder Websites verleiten dazu, Abos abzuschließen, die man nicht braucht und aus denen man schwer wieder herauskommt.
Bei 148 Online-Shops, das sind rund 37 Prozent, fanden die Prüfer sogenannte "Dark Patterns", also manipulative Praktiken. Fast jeder fünfte Online-Shop verbarg oder versteckte wichtige Informationen wie zum Beispiel Liefer- oder Rücksendekosten. Jeder zehnte setzte falsche Countdown-Zähler ein, und noch mehr versuchten, den Websitebesuchern Abos unterzujubeln.
So weit, so wenig überraschend. Immerhin werden manipulative Praktiken dieser Art in Online-Shops mit dem neuen EU-Gesetz über digitale Dienste verboten. Das Gesetz trat im vorigen November in Kraft und soll ab Februar 2024 in vollem Umfang gelten.
Rekord für Streitschlichter
Einen erheblichen Anteil ihrer Arbeitszeit verbringen Konsumentenschützer mittlerweile mit Fällen aus dem E-Commerce. Bei der vor mehr als 20 Jahren gegründeten Internet Ombudsstelle des österreichischen Konsumentenschutzministeriums und der Arbeiterkammer steigen von Jahr zu Jahr die Zahlen; insbesondere der Digitalisierungsschub durch die Pandemie beschäftigt die außergerichtlichen Streitschlichter. Den Rekord an Konsumentenanfragen hält das Jahr 2021 (10.726), der Rekord mit den meisten Streitschlichtungen (3167 – plus 10 Prozent) wurde 2022 aufgestellt. Bei insgesamt 8738 Eingaben im Vorjahr landeten im Schnitt 35 Fälle pro Werktag bei der Internet Ombudsstelle.
Im Vordergrund stehen "typische E-Commerce-Probleme", so Karl Gladt, Leiter der Internet Ombudsstelle: Streitigkeiten um das gesetzliche Widerrufsrecht, ausbleibende Lieferungen und Gewährleistungsfragen. Zwei Trends, betont Gladt, führen immer häufiger zu Problemen beim Online-Shopping: die Zunahme an unterschiedlichen Abo-Modellen sowie die Zersplitterung der Rollen bei den Anbietern, etwa wenn bei einem Kauf oder einer Reisebuchung ein externer Zahlungsdienstleister hinzukommt.
Ärger mit Fake Shops
"Es gibt viele Möglichkeiten, Verbrauchergesetze zu verletzen", fasst Maria Semrad, Juristin des europäischen Verbraucherzentrums in Wien, zusammen. Denn bei Streitigkeiten zwischen Konsumenten und Händlern im E-Commerce kommt vielfach hinzu, dass die Ware oder die Dienstleistung bei einem Anbieter im Ausland geordert wurde.
Wird zum Beispiel die bestellte Ware nicht geliefert, kann es sein, dass man auf eine unseriöse Firma hereingefallen ist. Verbraucher können zwar ihrem Ärger Luft machen, die Durchsetzung ihrer Ansprüche ist aber oft nur über Verbraucherschutzeinrichtungen oder auf dem Rechtsweg möglich. Bei Fake Shops bleibt nur die Anzeige bei der Polizei.
Semrad: "Österreichische Behörden konnten früher gegen Unternehmen im Ausland nicht vorgehen." Dieser Umstand verleitete Händler mitunter sogar dazu, illegale Methoden systematisch bei ausländischen Kunden anzuwenden. Um der Verfolgung oder Aufklärung zu entgehen, wechselten diese Anbieter mehrmals Standort, Firmenname und Webadresse.
Wie Behörden helfen können
Doch mit einer Verordnung zur Verbraucherbehördenkooperation schuf die EU eine Grundlage, um solche Geschäftspraktiken zu unterbinden. Das Netzwerk der Consumer Protection Cooperation (CPC) hat Werkzeuge und Kompetenzen erhalten, Drahtzieher illegaler Methoden ausfindig zu machen und zu bekämpfen. Die nationalen Behörden setzen das EU-Verbraucherrecht durch.
Semrad erklärt den Ablauf: "Wenn viele Konsumentenanfragen zu einem bestimmten Unternehmen im Ausland zu uns kommen, geht von uns eine Warnung an die zuständige Behörde, dass man sich die AGB oder die Geschäftspraktiken dieser Firma ansehen soll. Die Behörde tritt dann etwa mit einem Durchsetzungsansuchen an die zuständige Behörde im Ausland heran." Die möglichen Folgen für die Unternehmen reichen von Abmahnungen und Geldstrafen bis zum Abdrehen der Website oder der Schließung des Unternehmens.
EU-weite Sweeps
Immer wieder startet das Behördennetzwerk in Europa gemeinsame Branchenchecks, sogenannte Sweeps. "Es geht um die Frage, ob Verbraucherrechte beschnitten werden. Man schaut sich die großen Player einer Branche an. Online-Shops sind einer der häufigsten Gründe für Verbraucherreklamationen – nach den Fluggastrechten", sagt Semrad.
Es gibt bereits einige Beispiele bekannter Shoppingplattformen, wo der EU-Konsumentenschutz zu Verbesserungen geführt hat. Gegen die kanadische Firma Shopify etwa war wegen des Geschäftsmodells Dropshipping vorgegangen worden. Dropshipping heißt, Bestellungen werden von Verkaufsplattformen an Firmen in Drittländern weitergegeben, Kunden bekamen oft – nach langen Lieferzeiten – minderwertige Ware. Im Oktober 2022 verpflichtete sich Shopify zu mehr Transparenz, zur Kommunikation der EU-Verbraucherrechte an Shopbetreiber und dazu, Shops zu sperren, falls sie gegen diese Rechte verstoßen.