Diese Geschichte beginnt rund um das Jahr 2010 in einer Wiener Garage. Zwei Männer treffen dort aufeinander, fahrradbegeistert und Väter zweier Kleinkinder. Der eine, Christian Bezdeka, Industriedesigner, der andere, Marcus Ihlenfeld, Marketingdirektor bei Opel Österreich. Die beiden finden keine passenden Räder für den eigenen Nachwuchs, Unzufriedenheit wird ihre Triebfeder.
"In der Industrie herrschte eine Art Dornröschenschlaf", erinnert sich Ihlenfeld im Gespräch. Das Kinderfahrrad wurde als notwendiges Übel betrachtet, in das wenig kreative Kraft floss. Verbaut wurden Standard-Komponenten aus dem Regal, Erwachsenengriffe beispielsweise. Ihlenfeld und Bezdeka geben sich damit nicht zufrieden. Und beginnen, selbst Fahrräder zu entwickeln und zu bauen.
"Wir haben alles hinterfragt, wollten kein kleingeschrumpftes Erwachsenenrad bauen", sagt Ihlenfeld. Deswegen entwerfen die Tüftler einen Großteil der 50 verbauten Komponenten selbst, am Ende wiegen die ersten woom-Bikes um 40 Prozent weniger als herkömmliche Kinderräder. 2013 wird woom als Unternehmen ausgegründet, 287 Fahrräder werden im ersten Geschäftsjahr verkauft. Direkt aus der Garage heraus. Die Kunden, meist Freunde oder Bekannte, warten bei Kuchen und Kaffee auf die bestellte Ware.
Der Anfang als Erklärbär
Finanziell ist das Radgeschäft zunächst kein Renner, vier Jahre lang fallen Verluste an. "Primäres Ziel war, das Ding wachsen zu lassen. Am Profit wollten wir erst später schrauben", erzählt Ihlenfeld vom kalkulierten Risiko und einer Finanzierung über Privatkredite. Ihlenfeld selbst wächst am "wenig romantischen Anfang" in die Rolle des Erklärbärs. Primär, weil woom mit einer Tradition bricht und schon bei den Modellen für die Zweijährigen vollends auf Stützen an den Rädern verzichtet. Die Kinder lernen so früher, Gleichgewicht zu halten. Ein kluger Schritt. Vor zehn Jahren ist er vor allem irritierend. "Jeder Zweite wollte Stützräder aufs Rad bauen", erinnert sich Ihlenfeld an die Kundschaft der frühen Stunden – "wir gingen durch ein Tal der Tränen, weil die Leute selbst Stützen angelötet haben."
Auch anderswo ecken die Garagengründer an und brechen mit dem Zeitgeist. Sie wollen einen Designklassiker schaffen. Ein "Gegengift zu den Benjamin-Blümchen-Fahrrädern", sagt Ihlenfeld mit Blick auf die einfärbigen Räder aus eigener Produktion. Auch die Strategie, Premium-Produkte zu verkaufen, geht auf. Obwohl die Preise bei den woom-Bikes heute zwischen 229 und 3096 Euro liegen, sprechen sie ein breites Publikum an.
2020, aus dem Start-up ist ein Unternehmen mit 50 Millionen Euro Umsatz geworden, beschließen die Gründer einen Schritt, mit dem sie lange haderten: Erstmals werden Investoren an Bord geholt, Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner ist einer von ihnen. 2022 ziehen sich Ihlenfeld und Bezdeka aus dem operativen Geschäft zurück und wechseln in eine strategischere Rolle. "Wir spürten, dass wir nicht die richtigen Typen mit den richtigen Fähigkeiten für das nächste Level sind", sagt Ihlenfeld heute.
Ihre Idee hat dennoch längst Wurzeln geschlagen. In Österreich kommt woom bei Kinderrädern heute auf 50 Prozent Marktanteil, 20 Prozent Anteil sind es in Deutschland. Selbst in den USA sehen sich die Klosterneuburger mittlerweile als "größter Online-Händler im Premium-Segment", in Summe werden woom-Räder in 30 Ländern verkauft.
Unkenrufe, wonach es jüngst erstmals ein Abflauen der Nachfrage gegeben hätte und zwischenzeitlich gar ein Aufnahmestopp für neue Beschäftigte gegolten hätte, will der Grazer Paul Fattinger, heute an der Spitze von woom, nicht gelten lassen. "Wir sind vor Corona, während Corona und nach Corona recht konstant gewachsen", erzählt er. Zeugnis dessen: 2022 übersprang der Umsatz erstmals die 100-Millionen-Euro-Marke, 90 "woomsters" kamen neu dazu. Schon im nächsten Jahr könnten erstmals mehr als 300 Menschen für woom arbeiten. Lief erst im Jahr 2021 das woom-Rad Nummer 500.000 vom Band, wurden alleine 2022 über 400.000 Bikes verkauft.
Das soll längst nicht das Ende der Fahnenstange sein, die Zeichen stehen weiter auf Expansion. Seit Ende 2022 ist mit der Jebsen Group ein Investor an Bord, der als Spezialist für Markteintritte in Asien gilt. Womit die Idee aus der Wiener Garage wohl schon bald auf dem nächsten Kontinent Fuß fassen wird.