Die 2018 verlängerten Verträge mit der russischen Gazprom bis 2040 sind sozusagen der Gipfel einer langen Historie, wie Österreich seine Abhängigkeit von russischem Gas auf 80 Prozent erhöhte – und sich dabei stets den roten Teppich ausrollte.
Wie es historisch betrachtet so weit kommen konnte, dafür wühlte sich der ehemalige wissenschaftliche Leiter der Österreichischen Energieagentur, Herbert Lechner, von Mai bis Dezember durch viele Archive. Ein Rückblick mit Ausblicks- charakter, denn Lechner fordert jetzt eine klare politische Ausstiegsstrategie aus russischem Gas. Ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sei es auch an der Zeit, dass die OMV in Bezug auf die Lieferverträge die Karten auf den Tisch lege, ob sie wie bereits deutsche Versorger ein Schiedsverfahren gegen ihren russischen Lieferanten Gazprom anstrengen werde.
Die Studie, mit der sich Lechner in die Pension verabschiedete, beleuchtet den Zeitraum 1945 bis 2020, zeichnet nach, wie sich die Politik ab den 1960er Jahren zugunsten der damals vollstaatlichen OMV immer mehr aus Fragen der Versorgungssicherheit heraushielt.
„Die Politik war nicht steuernd“, so Lechner. Sie habe die Rahmenbedingungen, die „Leitplanken“ unzureichend gesetzt – bis zuletzt mit der Bestellung von Rainer Seele als OMV-Chef, der Österreich die Verlängerung der ursprünglich bis 2027 laufenden Gasverträge mit Gazprom bis 2040 einbrockte.
Laufende Warnungen
Warnungen vor zu großer Abhängigkeit habe es seit den 1970er Jahren immer wieder gegeben, erklärt Lechner. Bestimmend waren andere Faktoren: Die Kontakte der einst unter russischer Verwaltung gestandenen OMV in die einstige UdSSR; Österreichs Neutralität ermöglichte, dass man Lieferbeschränkungen des Westens nach Russland nicht mittrug, sondern im Gegenteil eine Politik Gas gegen Rohrlieferungen verfolgte. Am Anfang stand veritabler Gasmangel in den 1960er Jahren.
Der wurde 1967 mit der Fertigstellung der ersten russischen Pipeline über Bratislava nach Baumgarten behoben. Der Punkt, an dem die Politik praktisch alle Themen rund um Gas an die OMV auslagerte. „Haupttreiber der Energiepolitik war, dass man der OMV sehr viel Spielraum gelassen und die eigene Rolle wenig genutzt hat. Man hat sämtliche Aufgaben rund um den Gasimport als Privatwirtschaft definiert“, so das Lechners Fazit.
Größere Konkurrenzprojekte wie in den 1970er Jahren das der Austria Ferngas (AFG) von Italien nach Deutschland seien ausgebremst worden. Zum Scheitern des Pipelineprojekts „Nabucco“ vor rund zehn Jahren gibt es viele Mutmaßungen. Tatsache ist: Die einzige Diversifizierung erfolgte 1986 durch Verträge mit Norwegen, wo ab 1993 Gas floss.
Rolle als Drehscheibe
Parallel zum Nicht-Steuern der Politik seien über Jahrzehnte vier zentrale Dogmen rund um russisches Gas verfestigt worden, erklärt Lechner. So etwa, dass speziell russisches Gas alternativlos sei, Russland immer verlässlich gewesen sei, gegenseitige Abhängigkeit herrsche und russisches Gas billiger sei. Lechner wartet gegen alle vier landläufigen Aussagen mit Fakten auf. Auch die Rolle Österreichs als europäische Gas-Drehscheibe sei immer ein Köder gewesen.
Österreich importierte zuletzt wieder zu 71 Prozent russisches Gas. Lechner: „Das ist besorgniserregend.“ Ein Bruch mit der Gazprom sei gut investiertes Geld. Die möglichen Kosten eines Ausstiegs müssten klar Teil eines konkreten Fahrplans sein, wie man bis 2027 die Abhängigkeit von russischem Gas abstelle.