Die neuen Sanktionen der Ukraine gegen fast 200 westliche Unternehmen werfen nicht nur ein Schlaglicht auf prominente Betroffene – wie die Raiffeisenbank International RBI mit der russischen Leasing-Tochter. Sie werfen auch die Frage auf, warum sich viele Firmen nach fast einem Jahr Krieg noch nicht aus Russland zurückgezogen haben und die Wirtschaft mit am Laufen halten.
Dazu dürfte der Chef der RBI, Johann Strobl, in der heutigen Bilanzpressekonferenz, bei der ein Riesengewinn von 3,6 Milliarden Euro präsentiert wird, viel mehr als in den vergangenen Monaten und Tagen erklären. Seit Mitte März 2022 lautet die offizielle Sprachregelung der RBI schließlich: Man prüfe alle Optionen für das Geschäft in Russland – bis hin zum Ausstieg.
Strobl nahm dazu bereits am Dienstagabend kurz Stellung: "In den vergangenen elf Monaten hat der RBI-Konzern seine Bewertung aller strategischen Optionen für die Zukunft der Raiffeisenbank in Russland vorangetrieben, einschließlich eines sorgfältig durchgeführten Exits." Und seitens der Bank wurde in einer Aussendung ergänzt: Selbst wenn das Russland-Geschäft komplett abgeschrieben werden müsste, würde die Kapitalquote der RBI mit 14 Prozent aber immer noch deutlich über den regulatorischen Mindestanforderungen liegen.
RBI-Bilanz
"Gespräche scheinen zu nichts zu führen"
Inzwischen ist auch klar, dass Russland-Exits nur noch ohne Rücksicht auf Verluste möglich sind. Oder gar nicht, weil Präsident Wladimir Putin sich persönlich vorbehält, Ausstiege durchzuwinken oder nicht.
"Alle in Russland vertretenen Banken dürften im Hintergrund über Verkäufe diskutieren", sagt Mario Holzer, Geschäftsführer des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche WIIW, das auf Osteuropa spezialisiert ist. "Nur scheinen diese Gespräche zu nichts zu führen", so Holzer weiter, was insbesondere nach zwei Dekreten – dem ersten im August und der Verlängerung im Dezember – wenig verwunderlich sei. Abzug von Eigenkapital aus Russland ist seither weitgehend nicht mehr möglich, muss von Kommissionen oder dem Präsidenten genehmigt werden. Speziell Banken, Öl- und Gasfirmen sind inzwischen in politischer Geiselhaft.
Das Dilemma
"Die HSBC hat bereits einen potenziellen Käufer, aber Putin will das nicht absegnen", beschreibt Holzer das Dilemma. Die Citigroup ist ebenfalls zur Erkenntnis gekommen, nicht verkaufen zu können, und fährt das Geschäft anders herunter, indem etwa ganze Kreditpakete veräußert werden. Holzer: "Nur die französische Société Générale hat es wenige Wochen nach Kriegsbeginn geschafft, aus Russland herauszukommen, weil sie schon einen Partner, einen Oligarchen, hatte, der als Käufer einspringen konnte."
"Gerüchten zufolge gibt es jetzt viele russische Firmen, die alles billig, sehr billig kaufen möchten", so WIIW-Russland-Experte Artem Kochnev. "Oft soll da sogar Druck ausgeübt werden." Für ausstiegswillige Unternehmen sei der Spielraum inzwischen extrem eng. Bei Banken seien noch Verkäufe einzelner Geschäftsbereiche denkbar, um einerseits den Reputationsverlust zu reduzieren, aber nicht alles ohne realen Gegenwert aufgeben zu müssen.
Rechnungskreise sind unterbrochen
Wer auch immer noch in Russland Geld verdient, er kriegt es nicht mehr in den Westen. Die Rechnungskreise sind unterbrochen, schon bisher erfolgten enorme Wertberichtigungen – auch bei der OMV, die als zweiter Großkaliber-Konzern betroffen ist und Donnerstag in der Bilanzpressekonferenz wohl nach dem Stand des Russland-Ausstiegs befragt wird. Aber der liegt auf Eis. Denn bisher gab es für die OMV keine rechtlich saubere Möglichkeit, Schluss zu machen.
Mayr-Melnhof hat das geschafft: Der Kartonerzeuger verkaufte seine zwei Verpackungswerke in St. Petersburg und Pskow vor Monaten an einen Immobilienunternehmer, meldete das aber erst nach Einlangen des Geldes im Dezember. Sprecher Stephan Sweerts-Sporck: "Die langfristige Perspektive fehlte, der Verkauf ist die bessere Lösung."
Claudia Haase